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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze
Autoren: Belinda Bauer
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niederbrennende Bauernhaus hörte sich an wie ein fröhliches Feuerwerk; die Ziegel, die vom Dach abplatzten, klangen wie Raketen und Böller. Der Geruch von brutzelndem Fleisch erfüllte die Luft, und Jonas schauderte, verspürte jedoch ein jähes Hungergefühl, das den Vegetarier in ihm anwiderte.
    Was Joy Springer in dem brennenden Haus anging, so hatte er ein sonderbar ambivalentes Gefühl. Er fragte sich, ob ihre Katzen wohl auch verbrannt waren, und dachte daran, wie er wegen der Katzenhaare immer hatte niesen müssen, wenn er die düstere alte Küche mit der hoch aufragenden Anrichte und dem Spülstein betreten hatte.
    Reynolds schaltete seine Taschenlampe ein, Jonas tat es ihm nach und war augenblicklich blind bis auf die beiden hellen, gesprenkelten Lichtstrahlen, die Tunnel aus Schneetreiben zeigten. Er schaltete die Lampe wieder aus, ohne sich
die Mühe zu machen, Reynolds zu erklären, wieso er ohne sie besser sehen konnte.
    Sie kamen an dem alten Putzplatz mit dem gerippten Betonboden vorbei, wo der Schmied immer die Ponys beschlagen hatte. Fast konnte Jonas Taffys Kopf in seinen Armen fühlen, wie er döste, während an seinen festen kleinen Hufen geschnitten und geraspelt und gesengt und gehämmert wurde. Dieser seltsam tröstliche Geruch nach verbranntem Horn, und Nelson, der Hofhund, der vorschoss, um sich die größten Stücke zu schnappen. Sein Atem stank davon, und er bekam immer Durchfall …
    Reynolds sagte etwas, das Jonas nicht mitbekam.
    »Was?«
    »Könnte überall sein«, wiederholte Reynolds und leuchtete mit seiner Taschenlampe über die Wiesen hinter dem Stalltrakt.
    Jonas antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln hatte er etwas Regelmäßiges am Rand des Putzplatzes gesehen. Drei oder vier dunklere Flecken im Schnee, für die seine Erinnerung keine sofortige Erklärung liefern konnte.
    Er blieb hinter Reynolds zurück und ging hinüber, um nachzusehen.
    Fußabdrücke.
    Jetzt, wo er gefunden hatte, wonach er suchte, schaltete Jonas seine Taschenlampe wieder ein und untersuchte die Vertiefungen im Schnee.
    Obwohl die fallenden Flocken sie rasch füllten  – sie weichzeichneten und eine Identifikation unmöglich machten  –, waren es definitiv Fußabdrücke. Jonas leuchtete mit der Lampe hinein. Am Boden jedes fast dreißig Zentimeter tiefen Abdrucks war kein Sohlenprofil zu sehen, nur ein zarter Zuckerguss aus frischen Flocken, die im künstlichen Licht glitzerten.
    Jonas folgte der Spur mit dem Taschenlampenstrahl.
    Sie führte den Hügel hinunter  – direkt auf das Rose Cottage zu.

    »Lucy!«, brüllte er in die Nacht, als könne sie ihn vielleicht hören.
    Reynolds leuchtete Jonas ins Gesicht und sah dort nacktes Entsetzen.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Mein Haus!«, stieß Jonas hervor und zeigte dorthin, wo das Badezimmerlicht zwei Wiesen weiter gelb und viereckig leuchtete. »Er ist zu meinem Haus gegangen. Meine Frau! Sie ist allein! Ich habe sie allein gelassen!«
    Dann rannte er los, jagte in langen, unbeholfenen Sätzen durch den Schnee.
    Reynolds lief ihm ein paar Schritte nach und blieb dann stehen. »Jonas! Warten Sie!«
    Doch Jonas achtete nicht auf ihn.
    »Scheiße!« Reynolds machte kehrt und suchte sich einen Weg zurück in die Schwärze hinter den Cottages. Er brauchte mehr Leute. Wenn der Mörder tatsächlich in Jonas Hollys Haus war, dann wollte er nicht die einzige Verstärkung sein. Wieder auf ebenem Boden angelangt, rutschte und schlidderte er zurück auf den Hof und war beinahe erstaunt, dass es hier ohne ihn weitergegangen war. Das Haus brannte noch immer, Grey spielte noch immer mit dem Schlauch herum, und Rice und Singh beugten sich noch immer über Marvel und hatten wieder angefangen, seinen Brustkorb zu bearbeiten. Reynolds hastete auf kürzestem Weg zu ihnen hinüber.
    »Wie sieht’s aus?«
    »Tot«, antwortete Singh zwischen zwei ruckartigen Kompressionen.
    »Scheiße«, entfuhr es Reynolds. »So eine gottverdammte Scheiße!«
    »Ja, ich weiß«, sagte Singh. »Soll ich aufhören?«
    Reynolds dachte an die monatelange Arbeit, die er in die Akte investiert hatte, von der er gehofft hatte, sie würde dafür sorgen, dass Marvel unehrenhaft und ohne Pensionsansprüche entlassen wurde.

    Alles umsonst.
    Jetzt war Marvel stattdessen bei dem Versuch umgekommen, eine Zivilperson aus einem brennenden Gebäude zu retten.
    Wer als Held stirbt, bleibt ein Held.
    Nichts war fair.
    »Ja«, wies er Singh an. »Hören Sie auf.«
    Rice und Singh hörten auf, Marvel
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