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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär
Autoren: Jacques Berndorf
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der Windungen der Straße weder das Feuer des Händlers sehen noch den Hof von Berthold Schmitz.«
    »Wenn ich Sie also richtig verstehe«, murmelte Rodenstock und schrieb etwas auf, »dann konnte sich Berthold Schmitz vollkommen unbeobachtet fühlen. Richtig?«
    »Korrekt. Niemand konnte ihn sehen.«
    Plötzlich verstand ich, auf was Rodenstock hinauswollte. Ich verzögerte noch einmal. »Ich hätte trotzdem gern gewusst, wie Sie sich den Streit zwischen beiden Männern vorstellen.«
    Tessa sah zur Kirche hinüber. »Ich weiß nicht, ob Berthold Schmitz von Beginn an einen Plan hatte. Vielleicht ist er zunächst nur an das Feuer des Mannes gegangen, weil er neugierig war, nichts sonst. Vielleicht ergab sich zunächst ein Gespräch. Vielleicht ging aus dem Gespräch hervor, dass der Händler gute Geschäfte gemacht hatte. Vielleicht fasste Berthold Schmitz erst dann den Entschluss, den Mann auszurauben. Das werden wir niemals erfahren. Es kam zum Streit, es kam zu der Tötung.«
    »Was denken Sie?«, fragte Emma Ingbert.
    »Das ist gut überlegt und sehr strikt«, sagte Ingbert. »In diesem Punkt stimme ich mit Tessa überein. Es kann durchaus so gewesen sein.«
    »Bleiben wir dabei, dass es so gewesen sein kann. Ein paar Tage später bricht Berthold Schmitz mit seiner Familie nach Amsterdam auf, um das Schiff zu erreichen. Er hat den Händler erschlagen, er hat das Geld. Ich nehme an, dass er vermeiden wollte, ohne einen Pfennig in der Tasche in den USA anzukommen. Sehe ich das richtig?«
    Ingbert nickte schnell. »Von der Motivation her kann ich zustimmen, vom weiteren Verlauf aber nicht. Wir wissen, dass die Familie in die Nähe von Chicago ging - wie übrigens viele Familien aus der Eifel. Ein Jahr später schrieb Berthold einen erschütternden Brief an den Pfarrer von Gerolstein.
    Seine Frau war gestorben, er litt höchste wirtschaftliche Not. Dann kam keine Nachricht mehr. Falls er den Händler ausgeraubt hat, wird der vielleicht ein paar Münzen besessen haben. Mehr kann es nicht gewesen sein, denn dem Berthold Schmitz hat es nicht geholfen. Einer seiner Söhne übrigens ist um 1910 in die Eifel zurückgekehrt, aber nicht nach Gerolstein, sondern nach Hillesheim. Er hat glaubhaft berichtet, die Familie sei ohne einen Pfennig in die USA gekommen. Und die Familie sei dort zunächst vollkommen verarmt und habe von katholischen deutschen Gemeinden ernährt werden müssen. Das änderte sich erst, als der Vater mitsamt der Familie nach Süden wanderte und dort eine andere Frau heiratete.«
    Rodenstock wandte sich sehr väterlich an Tessa. »Ich habe Bedenken, dass Berthold Schmitz der Täter gewesen ist. Wissen Sie warum? Nun, er war ein Bauer, ein sehr erdhafter Mensch und sicherlich sehr praktisch veranlagt. Wenn er ungesehen den Händler erschlagen hätte, lag nichts näher, als den Händler zu beseitigen, einzugraben oder so. Nichts lag näher, als den Tatort vollkommen zu verändern, den Karren und das Zugtier zu stehlen, und beide in den nächsten Tagen billig zu verkaufen. Die einfachste Art, noch vor der Abreise schnell zu Geld zu kommen.« Er lächelte.
    »Leuchtet Ihnen das ein?« Er verstärkte das Lächeln. »Sie können an Ihrer Version festhalten, aber Sie werden begreifen müssen, dass sie zu viele Fehler hat, zu viele Lücken.«
    »Und wie könnte es abgelaufen sein?«, fragte Tessa etwas verbissen.
    Rodenstock sah Emma an, und sie zögerte nicht. »Nun, wir haben zwei rätselhafte Punkte. Erstens: Wer war der Tote? Und zweitens: Weshalb wurde er erschlagen? Das mit dem möglichen Geld bei dem Händler leuchtet mir nicht ein. Nehmen wir an, der Händler hatte wirklich Geld. Nehmen wir an, er war ein Mann, der gewohnt war, in seinem Karren zu übernachten. Dann wird er das Geld so versteckt haben, dass niemand es auf Anhieb finden konnte. Einverstanden? Ich würde sogar auf einen Mann tippen, der eben nicht ein seriöser Händler war. Nicht unbedingt ein Krimineller, aber jemand, den man verscharren konnte, ohne dass ihn jemand vermissen würde. Ich schlage vor, an einem anderen Punkt zu beginnen. Bei der Frage nämlich, wieso dieser Fall keine Fortsetzung hatte, wieso nicht nach Verdächtigen gefahndet wurde, wieso der Fall geschah, aber nichts folgte. Warum?«
    »Es gibt weder Primär- noch Sekundärquellen«, sagte Ingbert tapfer. »Es gibt im Grunde gar nichts. Und es ist einhundertelf Jahre her.«
    Emma lächelte. »Das glaube ich nicht. Es gibt immer Quellen. Und dann gebe ich noch zu bedenken:
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