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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär
Autoren: Jacques Berndorf
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Vielleicht finden wir Hinweise.«
    Wir schlenderten ins Haus. Paul lag auf dem Küchentisch und schlief fest. Strategisch ist der Punkt ideal: Er kann alles überwachen, die Küche, den Flur, den Hof. Das Einzige, was stört, sind gelegentlich Katzenhaare in der Butter. Aber wozu hat der Mensch Augen?
    *
    Hermann kam hochkonzentriert herein und murmelte: »Also, es geht mit einer Mischung aus Terpentin und Leinöl.«
    »Was geht?«, fragte ich.
    »Ach so, ja. Die Balken müssen eingeölt werden. Das gibt dem Holz einen edlen Schimmer, würde ich sagen.« Er goss sich einen Becher Kaffee ein und verschwand wieder.
    »Der hat mich gar nicht gesehen«, murmelte Emma verblüfft. »Ist der immer so?«
    »Wenn er arbeitet, arbeitet er. Wenn er den Papst auf dem Dachboden entdeckt, würde er auch nur sagen: Rutsch mal zur Seite, Kumpel, ich habe zu tun. Wie geht es Rodenstock eigentlich?«
    »Gut«, sagte sie zufrieden. »Gut bis sehr gut. Er will ein Buch machen, ein Fachbuch. Alle meine Tatorte – irgendetwas in dieser Richtung. Das kann gut werden, falls er es wirklich angeht. Und falls die vorgesetzte Behörde zustimmt und die Akten rausgibt. Soll ich uns etwas in die Pfanne hauen? Spiegeleier?«
    »Spiegeleier!« stimmte ich zu. »Bratkartoffeln, wenn ich die Kartoffeln schäle? Nachmittags Bratkartoffeln stimmen mich immer froh. Diese Tessa imponiert mir. Sie geht einen extremen Fall an.«
    »Und sie wird noch viel weinen und lachen und jubeln - und wieder weinen. Ich möchte wissen, was ihr Vater dazu sagt. Zwiebeln in die Bratkartoffeln? Oder Schinkenspeck?«
    »Dann müssten wir erst eine Sau jagen gehen.«
    »Dein Eisschrank sieht aus wie nach einem Durchzug von Napoleons Armee. Du müsstest mal wieder was auffüllen. Hier gehört eine Frau ins Haus.«
    »Du kannst die Scheiß-Kuppelei auch nicht lassen.«
    Sie grinste wie ein Junge. »Ich liebe dich eben, Baumeister. Du bist so richtig schön naiv. Da wittert jede Frau die große Aufgabe. Koch mal noch einen Kaffee, sonst schlafe ich im Stehen ein. Meine Mutter sagte immer: Bevor du zu kochen anfängst, solltest du einen Kaffee trinken. Das schärft den Geschmackssinn.«
    »Wo hat deine Mutter gelebt? Was war sie?«
    »Sie war eine Hausfrau, und sie war eigentlich eine gute Mutter. Und sie starb in Auschwitz.«
    »Das wusste ich nicht. Hast du eine klare Erinnerung an sie?«
    »Nicht sehr klar. Als sie sie holten, war ich fast noch ein Baby. Und es gelang ihr irgendwie, mich im Keller zurückzulassen. In einer alten Zinkwanne. Ich wurde von einer Nachbarin gefunden, die offiziell behauptete, ich sei ihr Kind. Schäl nicht so viele Kartoffeln. Das reicht.«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sprachen wir über Belanglosigkeiten und hockten uns an den Tisch, um zu essen. Wir tranken Kaffee und konnten nicht weitersprechen, weil Werner einen Vierzigtonner rückwärts in den Hof setzte und dann brüllte: »Die Steine! Die Steine!« Wenn Werner brüllt, ist Sendepause für alles, was lebt.
    »Kipp sie gegen die Wand«, sagte ich.
    Er hatte ein teuflisches Lachen im Gesicht. »Dir ist doch klar, dass dein sonniger Lenz jetzt zu Ende ist. Jetzt musst du arbeiten, sonst kann kein Mensch mehr auf deinem Hof parken.«
    »Sklaventreiber.«
    Es gab einen Krach, als hätte jemand vor, mein Haus abzureißen. Die Grauwacke knallte auf das alte Pflaster, und ein paar Brocken kullerten natürlich in Richtung Haustür. Ich nahm Arbeitshandschuhe und schleppte sie auf den Haufen. »Für die Teichumrandung«, erklärte ich. »Die Steine haben in der Diagonalen alle um die vierzig bis fünfzig Zentimeter. Das interessiert keinen Menschen, aber es ist wichtig für meine kleine Welt. Und es macht Spaß. Glaubst du, dass der Tote ein Händler war?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Er war irgendetwas anderes, vielleicht war er ein besonderer Mann. Aber anscheinend gibt es nicht einmal ein Grab. In dem Jahr nahm diese Wasserfabrik ihre Produktion auf, nicht wahr?«
    »Ja, der Gerolsteiner Brunnen legte los. Ein Mensch namens Castendyck gründete ihn - und niemand ahnte, was daraus werden sollte.«
    »Vielleicht hängt der Mord damit zusammen?«
    »Das könnte sein«, nickte ich. »Das könnte sogar gut sein. Es war sozusagen der Beginn der Industrialisierung Gerolsteins.«
    »Aber sie hätten, wenn es ein Gerolsteiner gewesen wäre, die Leiche nicht so einfach verscharren können«, überlegte sie.
    »Moment, junge Frau. Wir wissen nicht, was mit der Leiche passierte,
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