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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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landwirtschaftlichen Arbeiter aus Bere Regis in Dorset, und heiratete ihn. Die Ehe war von kurzer Dauer – Wynne gab der ›Hässlichkeit‹ ihres Kindes die Schuld an dem Bruch –, und Mutter und Sohn kehrten nach Bournemouth zurück, wo sie in eine Sozialwohnung am Colliton Way zogen, knapp einen Kilometer von Grace’ Haus in der Mullin Street entfernt. Es gibt zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass Grace und Wynne sich nicht verstanden, jedoch scheinen die beiden Frauen wenig miteinander zu tun gehabt zu haben.
    Grace wurde von ihren Nachbarn als »merkwür-
    dig«, »exzentrisch«, »eigenbrötlerisch«, »menschenscheu«, »nicht sehr umgänglich« beschrieben.
    Wahrscheinlich trafen alle diese Adjektive auf sie zu, da ihr der alltägliche soziale Umgang mit anderen so schwer gefallen sein dürfte wie ihrem Enkel. Sie hatte jedenfalls kaum Besuch, wenn auch Wynne wahrscheinlich vor allem deshalb so selten kam, weil sie kein Auto hatte und tagsüber als Packerin bei Brackham & Wright arbeitete, der Werkzeugfabrik in der Glazeborough Road.
    Es gibt Hinweise darauf, dass Stamp regelmä-
    ßig zu seiner Großmutter ging, wenn er die Schule schwänzte. Nachbarn erwähnten, dass sie in den Fünfzigerjahren während der Sommermonate des 46

    Öfteren ein Kind im Garten gesehen hätten. Wenn das stimmt, so hat Grace seiner Mutter oder den Schulbehörden dies nie berichtet. Stamp wird daraus geschlossen haben, dass das Haus seiner Großmutter sichere Zuflucht vor Peinigern bot. Sicher ist, dass er später, als er älter war, häufiger kam, deshalb konnten ihn die Zeugen, die ihn davonlaufen sahen, so mühelos identifizieren. »Es war dieser dür-re Enkel«, sagte einer. »Er hat sich immer bei Grace versteckt, um sich vor der Arbeit zu drücken.«
    Beim Prozess behauptete die Anklage, Stamps Labilität und autoaggressive Störung hätten sich in einem Maß verschlimmert, dass Grace Angst vor ihm bekam. Zum Beweis zitierte sie einen Brief an Wynne, in dem Grace schrieb: »Howard hat wieder angefangen zu brüllen, obwohl er weiß, dass mir das Angst macht. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn bei der Polizei anzeige, wenn er so weiter-macht.« An anderer Stelle, die von der Anklage unerwähnt blieb, fügte sie hinzu: »Ich habe gesagt, wenn er nur ein nettes Mädchen kennen lernen würde, dann würde es ihm auch besser gehen, aber er hat gesagt, ich soll den Mund halten. Du hättest mit denen von der Polizei reden sollen, wie sie ihn damals ausgelacht haben, weil die anderen ihn immer verspotten. Das hat ihn fertig gemacht. Er sagt, dass das nur Zeitverschwendung wäre, aber ich hab ja auch jemanden gefunden, ich meine, Arthur.«
    47

    Die Verteidigung hat da nicht eingehakt, obwohl sie es aus zwei Gründen hätte tun sollen. Erstens wollte Grace zweifelsohne Folgendes sagen: Howard hat mich wieder angebrüllt, und das macht mir Angst, weil ich nicht weiß, wie ich ihm helfen soll.
    Ich habe ihm mit der Polizei gedroht, um ihn zum Schweigen zu bringen. Wir wissen beide, dass er vor der Polizei Angst hat. Die Beamten haben sich über ihn lustig gemacht, als er ihnen erzählte, dass er gehänselt und schikaniert wird, und seitdem traut er der Polizei nicht mehr. Zweitens: Wenn Stamp vor der Polizei Angst hatte, dann kann man sich auf nichts, was er bei der Vernehmung sagte, verlassen. Ganz im Gegenteil, sein Geständnis legt nahe, dass er sie lieber mit einem Mordgeständnis schockierte, als sich von ihnen dafür verspotten zu lassen, dass er sich aus reinem Entsetzen in seinem Zimmer eingeschlossen hatte.
    Stamps Fall wurde nie wieder aufgerollt, weil er sich 1973 erhängte. Doch selbst ein nur oberflächlicher Vergleich von Wynne Stamps Aussage mit der Beweisführung der Anklage zeigt alarmierende Diskrepanzen. Wynne sagte von ihrem Sohn, er sei
    »an Geld nie interessiert« gewesen, weil »er es hasste, einkaufen zu gehen«. Die Anklage brachte vor,
    »jede Schublade in Grace’ Haus war herausgezogen. Das lässt vermuten, dass entweder der Mörder nach Geld und Wertgegenständen suchte, oder aber Grace einen Einbrecher überraschte.« Wynne 48

    behauptete, sie sei keine »gute Hausfrau«, ihr Sohn habe ständig hinter ihr »aufgeräumt«. Die Anklage beschrieb Grace’ Haus als einen »Schauplatz der Verwüstung«. Wynne sagte aus, ihr Sohn habe sich seiner zerschnittenen Arme geschämt und lang-
    ärmelige Hemden und Pullover getragen, um sie vor ihr zu verbergen. Die Anklage sagte, »einem Mann, der Lust dabei empfand,
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