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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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Fantasie schon arg strapazieren, um sich vorzustellen, dass Stamp sich so drastisch verändert haben soll, dass er, der bisher in obsessiver Weise mit sich selbst beschäftigt war, dessen Hass und gewalttätige Aggressionen sich einzig gegen die eigene Person richteten, aus dieser Introversion herausgetreten sein soll, um sich mit einem Messer auf den einzigen Menschen zu stürzen, der ihn beschützte.
    Selbst wenn Grace versucht hat, ihn mit Vorschlägen, dass er sich »ein nettes Mädchen« suchen solle, aus seiner Depression herauszuholen, weil bei 52

    ihr ja auch alles besser geworden war, nachdem sie
    »Arthur gefunden« hatte, und Stamp daraufhin wütend wurde, scheint er doch nie Schlimmeres getan zu haben, als zu schimpfen und zu brüllen.
    Vielleicht hatte Wynne den gleichen Vorschlag gemacht, und mit dem gleichen Resultat. Im Prozess sagte sie: »Er hatte Frauen lieber als Männer, aber sie mochten ihn nicht. Das machte ihn wütend.«
    Die Anklage interpretierte das als »Wut gegen Frauen – gegen eine Frau, seine Großmutter, Grace Jefferies, die angefangen hatte, sich vor ihm zu fürchten«. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Stamp Frustration äußerte, als seine Mutter und seine Großmutter ihn drängten, sich »ein Mädchen zu suchen«, weil er wusste, wie schmerzhaft und vergeblich ein solches Unterfangen sein würde. Sein Selbstmord drei Jahre später ist wohl Zeugnis genug dafür, wie schwierig es für ihn war, Freundschaften zu schließen, sei es mit Männern oder mit Frauen. Ein Gefängnisbeamter sagte bei der amtlichen Untersuchung des Todesfalls: »Er war sehr schüchtern. Die anderen Inhaftierten haben ihn deswegen oft gehänselt. Er ist nur aus seiner Zelle herausgekommen, wenn es ihm befohlen wurde.«
    Wie einsam muss Stamp sich gefühlt haben, wie verzweifelt muss er gewesen sein, als er erkennen musste, dass selbst seine Mutter von seiner Schuld überzeugt war. »Von dem Tag an, als er nach 53

    Dartmoor kam, habe ich ihn nicht mehr besucht«, sagte Wynne bei der amtlichen Untersuchung seines Todes. »Wir hatten einander nichts zu sagen, und es war eine weite Fahrt.« Der Coroner, dem es vermutlich darum ging, jeden Verdacht auf Mord durch Dritte auszuschließen, fragte Wynne, ob Howard ihrer Meinung nach ein Mensch gewesen sei, der selbst Hand an sich legen würde.
    Sie antwortete: »Er hatte eine Menge auf dem Gewissen.«
    Aber hat er es wirklich getan?
    Wenn es darum geht, alte Fälle neu aufzurollen, begnügt die Polizei sich mit Lippenbekenntnissen.
    Infolge knapper finanzieller Mittel und des Zeit-drucks durch die ständig steigende Zahl von Verbrechen besteht überhaupt keine realistische Chance, dass jemals ein neuer Verdächtiger unter Anklage gestellt werden wird. Die gespeicherten Daten und die Indizien reichen nicht aus, um ein Vierteljahrhundert nach der Tat gegen eine zweite Person Anklage zu erheben. Es versteht sich von selbst, dass die Polizei, wenn sie einmal einen Schuldigen gefunden zu haben meint, prinzipiell keine Zeit darauf verwendet, nach Beweisen zu seiner Entlastung zu suchen – daher auch die in den Gesetzen PACE und CPIA verankerten Reformen.
    Hinzu kommt, und das ist für einen Prozess relevant, dass das Gedächtnis von Zeugen, deren 54

    Aussagen nie nachgegangen wurde, zwanzig oder dreißig Jahre später als »unzuverlässig« betrachtet werden wird.
    Dennoch hat sich das Blättchen zu Ungunsten von Mördern gewendet, die »ungeschoren davon-gekommen sind«, seit in England 1987 4 der DNA-Fingerabdruck als Beweismittel zugelassen wurde.
    Zwar wurde bis heute mit Hilfe dieser Methode kein Justizirrtum bereinigt, der Schlagzeilen gemacht hätte; es wurde jedoch eine Anzahl ungelöster Morde aufgeklärt.
    1970 war der DNA-Fingerabdruck noch Zukunfts-
    musik, aber den Presseberichten über den Prozess im April 1971 ist zu entnehmen, dass die Polizei in Grace’ Haus Indizien sicherstellte, die selbst heute noch Stamps Unschuld beweisen könnten.
    »Die Anklage behauptet, dass ein im Haus gefundenes T-Shirt Howard Stamp gehörte. Die Verteidigung bestritt das, obwohl Wynne Stamp später einräumte, dass ihr Sohn ›so eines‹ besessen habe« ( The Times , Dienstag, 13. April 1971).
    »Handschuhe gefunden – Polizei stellt Verbindung zu Jefferies-Bluttat her« (Schlagzeile – Sun , Mittwoch, 14. April 1971). »Ein Paar blutbefleckte 4 Robert Melias in Großbritannien war der erste Mensch überhaupt, der auf Grund von DNA-Beweismaterial verurteilt
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