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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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ankündigte.
    »Campbell und Blair sollen vor dem Unter-suchungsausschuss aussagen … die Regierung beschuldigt …«
    Jonathan war, was die offiziellen Verlautbarungen anging, so misstrauisch wie im Februar. Er fand die Vorstellung lachhaft, dass eine Untersuchung die Wahrheit ans Licht bringen sollte, wenn der Hauptakteur tot war. Die absolute Wahrheit gab es nicht. Es gab nur Halbwahrheiten und Interpretationen, die darauf warteten, von jemandem vorgetragen zu werden, der stark – oder ent-726

    schlossen – genug war, allen anderen seine Meinung aufzuzwingen. Die Welt wurde von engstirnigen Eiferern beherrscht – Politikern, Religionsführern, Terroristen, Medien- und Wirtschaftsbossen –, und die meisten von ihnen waren zu arrogant oder zu dumm, um zu erkennen, dass ihre Überzeugungen nicht die allein selig machenden waren.
    Er zog eine Augenbraue hoch, als George und Sergeant Wyatt auf ihn zutraten. »Und? Hat es etwas gebracht?«
    »Noch nichts, was wir verwenden können«, antwortete George, »aber wenigstens hat er angefangen, selbständig zu denken.« Sie kicherte ein wenig.
    »Ich sollte wirklich nicht lachen nach dem, was er der armen kleinen Cill angetan hat, aber am Ende war er ziemlich geplättet. Er konnte gar nicht glauben, wie dumm er gewesen ist … er hat immer alles geschluckt, was Louise ihm weisgemacht hat, und ist nicht einen Moment auf die Idee gekommen, dass sie etwas zu verbergen haben könnte.«
    Jonathan griff durchs offene Fenster hinein und schaltete das Radio aus. »Seine Erinnerungen helfen uns nicht«, warnte er. »Er wird gleich einen ganzen Schwall ausspucken, wenn er damit seine Haut retten kann. Wir brauchen etwas, das sich beweisen lässt, wenn wir sie anklagen wollen.«
    »Ach, jetzt seien Sie nicht so ein Miesmacher.« Sie klopfte ihm vergnügt auf den Arm. »Mr. Wyatt ist durchaus optimistisch. Beharrlichkeit ist alles, sagt 727

    er. Wenn er mit den Fragen nicht lockerlässt, wird Louise sich irgendwann verhaspeln. Sie ist nicht intelligent genug, um das zu verhindern – keiner von uns ist das.« Ihre klugen Augen sahen ihn lächelnd an. »Sie hat uns dank der zahlreichen unterschiedlichen Versionen, die sie zum Besten gegeben hat, bereits reichlich Munition geliefert. Es ist die Geschichte von den verhedderten Fäden, Jon.
    Roy hat sich in ihnen verfangen, sobald er versuchte, Howard die Schuld in die Schuhe zu schieben.
    Unter Druck löst ein Lügengebilde sich immer auf.
    Gerade Sie werden das doch nachvollziehen können.«
    Er sah sie mit einem liebevollen Lächeln an.
    »Aber ich hatte mich ja nicht vollends in meines hineinbegeben, George.«
    Sie lachte. »Natürlich nicht, dazu sind Sie viel zu ehrlich. Und Emma war den Kummer nicht wert, den Ihnen das Lügen gemacht hat. Da sind Sie bei Sasha schon viel besser aufgehoben. Bei ihr gibt’s keine verborgenen Seiten – wahrscheinlich, weil der mongolische Einschlag so offenkundig ist. So was lässt sich nicht verheimlichen, nicht wahr?«
    Jonathan wollte gerade den Mund öffnen und etwas entgegnen, doch Wyatt hinderte ihn mit einem verschmitzten Augenzwinkern daran. »Mit einer Dame soll man sich nie streiten, Dr. Hughes – schon gar nicht, wenn sie Recht hat. Miss Spencer ist eine nette junge Frau. Und was die andere Sache angeht, 728

    bin ich auch ganz optimistisch. Mrs. Fletcher ist nie im Zusammenhang mit Grace’ Ermordung vernommen worden, und sie hat ihrer ursprünglichen Aussage, in der sie Ahnungslosigkeit vorgab, bereits widersprochen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann sie sich hoffnungslos in Widersprüche verwickeln wird.«
    Jonathan sah George an. »Und fangen Sie jetzt bloß nicht an, sie zu bemitleiden«, warnte er.
    »Sie war erst dreizehn.«
    Er hob einen Finger. »Ich bin ein Mann, George, und noch mehr Gefühl halte ich nicht aus.«
    »Aber …«
    Lachend zog er sie in seine Arme. »Sie ist meine Mutter«, erklärte er Wyatt über ihren Kopf hinweg. »Sie hatte vor fünfunddreißig Jahren einen One-Night-Stand mit einem jamaikanischen Straßenkehrer und hat es ewig bereut. Ich fände es ja nicht so schlimm, aber sie versucht dauernd, mich als ihren Lover auszugeben.«
    Der Polizeibeamte lächelte, unschlüssig, was er davon halten sollte.

    Minette Walters arbeitete lange als
    Redakteurin in London, bevor sie
    Schriftstellerin wurde. Seit ihrem Debüt
    »Im Eishaus«, das 1994 auf Deutsch
    veröffentlicht wurde, zählt sie zu den
    Lieblingsautoren von Millionen Leserin-
    nen und
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