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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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Vorhänge mehrere Tage geschlossen geblieben, ehe er am Freitag, dem 5. Juni, beschloss, der Polizei seine Besorgnis zu melden.
    Die Blutablagerungen auf Stamps Kleidung wurden als »Blättchen« beschrieben, woraus zu entnehmen ist, dass es sich um getrocknetes Blut handelte. In seiner zweiten Aussage erklärte Stamp: »Ich wusste sofort, dass meine Großmutter tot war, als ich ihre Hand anstieß. Sie war kalt, und die Finger öffneten sich. Als ich ihre Schulter berührte, fühlte diese sich steif an.«
    Damit haben wir den Ansatz zu einem zeitli-62

    chen Rahmen. Die Leichenstarre setzt nach drei bis vier Stunden zunächst in den kleinen Muskeln des Gesichts sowie der Hände und Füße ein, bevor sie auf die größeren Muskeln übergreift. Im Nachlassen und Verschwinden folgt sie dem gleichen Muster. Stamps Beschreibung besagt, dass im großen Schultermuskel die Leichenstarre noch bestand, während sie in den kleineren Muskeln der Hand schon zu schwinden begonnen hatte.
    Da der Leichenstarre ein chemischer Prozess zu-grunde liegt, ist sie durch eine Anzahl Variabler be-einflussbar: Umwelttemperatur, Körpertemperatur, Krankheit, Aktivität vor dem Tod, die äußeren Umstände, in denen der Leichnam zurückgelassen wird. Normalerweise liegt bei einer Leiche, die als kalt und steif beschrieben wird, der Eintritt des Todes zwölf bis sechsunddreißig Stunden zurück; bei einer, die als kalt, aber nicht steif beschrieben wird, kann er bis zu zweiundsiebzig Stunden zurück-liegen. Kühle Lufttemperaturen und Fettleibigkeit verzögern den Beginn der Leichenstarre, erweitern also den zeitlichen Rahmen insgesamt. Warme Lufttemperaturen und erhöhte Stoffwechseltätigkeit vor dem Tod beschleunigen ihren Beginn, engen also den zeitlichen Rahmen ein.
    Eben wegen dieser Variablen eignet sich die Totenstarre schlecht, um Genaues über die Todeszeit auszusagen. In Grace’ Fall liegen sich gegenseitig widersprechende Faktoren vor. Sie war eine 63

    massige Frau, aber in der Stunde vor ihrem Tod, als sie versuchte, ihrem Peiniger zu entkommen, hat ihr Stoffwechsel wahrscheinlich auf Hochtouren gearbeitet. Es war Sommer, draußen im Freien war es warm; doch in ihrem Haus waren die Vorhänge geschlossen und ließen keinen Sonnenstrahl ein-dringen, die Polizeibeamten sagten, im Haus sei es »kühl« gewesen, als sie hineinkamen. Der Blutverlust wird den Blutdruck gesenkt haben, während Angst die Stoffwechselvorgänge beschleu-nigt haben wird.
    Die einzigen Anhaltspunkte die wir heute noch haben, stammen aus Zeitungsberichten:
    »Der Pathologe erläuterte die Obduktionsbefunde und sagte, sie bestätigten, dass Mrs. Jefferies etwa achtundvierzig Stunden tot gewesen sei, als er ihren Leichnam untersuchte … Beim Kreuzverhör zog der Verteidiger einige Schlussfolgerungen des Arztes in Zweifel. ›Ist es nicht so‹, sagte er, ›dass die Totenflecken auf dem Unterleib darauf schlie-
    ßen lassen, dass die Verwesung schon früher ein-setzte?‹ Dr. Studeley bestritt das. ›Der Prozess geht schneller vor sich, wenn eine Leiche Luft ausgesetzt ist.‹ Darauf fragte Fanshaw, wie es komme, dass er keine Spuren von Totenstarre vorgefunden habe. ›Grace Jefferies war eine korpulente Frau. Hätten Sie nicht eine verbliebene Steifheit in den großen Muskeln erwartet?‹ – ›Keineswegs‹, 64

    antwortete Dr. Studeley. ›Die Witterung war warm, und Mrs. Jefferies kam unter entsetzli-chem Leiden zu Tode. Unter solchen Bedingungen tritt die Totenstarre normalerweise rasch ein und verschwindet relativ schnell wieder‹« ( Daily Telegraph , Dienstag, 13. April 1971). »Dr. James Studeley erklärte, nach Berücksichtigung verschiedener Faktoren bestätigten die Ergebnisse der Obduktion, dass Mrs. Jefferies am Vor- oder Nachmittag des 3. Juni den Tod gefunden habe.
    Einwendungen der Verteidigung, dass einige seiner Schlussfolgerungen zweifelhaft seien, wies er zurück« ( The Times , Dienstag, 13. April 1971).
    Dr. Foyle, der medizinische Sachverständige der Verteidigung, war der Auffassung, dass der Tod vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden früher eingetreten sei. Im Kreuzverhör jedoch wurde er unsicher.
    »Der pathologische Sachverständige der Verteidigung brachte vor, die Verwesung sei zu weit fortgeschritten gewesen für die geschätzte Zeit von achtundvierzig Stunden. ›In den ersten zwei Tagen treten auf der rechten Seite des Unterleibs Flecken auf. Die Verfärbung breitet sich dann weiter aus, und mit der Bildung von Gasen
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