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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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Verurteilung nicht rechtmäßig erfolgt sei. Downing erhielt die Freiheit und seinen guten Namen zurück, aber das Berufungsgericht kam nicht ohne Vorwürfe davon. Don Hale, ein engagierter Journalist, der sich sieben Jahre lang bemüht hatte, die Öffentlichkeit auf Downings unglückliche Situation aufmerksam zu machen, schrieb:
    ›Mich beunruhigt die Frage, wie viele ähnliche Fälle in unserem Strafvollzugssystem begraben sind.‹
    Stefan Kiszko
    Ein solcher Fall war der des Stefan Kiszko, der 1975
    von der Polizei in Zusammenhang mit der Ermordung der elfjährigen Lesley Molseed in Rochdale vernommen wurde. Von Kiszkos Täterschaft über-36

    zeugt, ignorierten die Polizeibeamten seine Unreife und mangelnde soziale Kompetenz, hielten es nicht für nötig, den jungen Mann auf sein Recht auf den Beistand eines Rechtsanwalts hinzuweisen, erlaub-ten ihm nicht, seine Mutter (der einzige Mensch, der ihm näher stand) zu sehen und belehrten ihn erst lange nachdem sie ihn zum Hauptverdächtigen erkoren hatten über seine Rechte. Als er schließlich gestand, tat er es nur, weil die Polizeibeamten ihn glauben machten, er dürfe nach Hause gehen, sobald er sagte, was sie hören wollten.
    Wie Downing widerrief er augenblicklich sein Geständnis, und wie im Fall Downing wurde dieses Geständnis zum Fundament, auf das sich die gesamte Beweisführung der Anklage stützte. Ein Teil von Kiszkos Aussage war ein falsches Geständnis: Er gab zu, sich einige Wochen zuvor vor zwei halbwüchsigen Mädchen, die ihn benannt und identifiziert hatten, entblößt zu haben. Sechzehn Jahre später, als Kiszko vom Berufungsgericht freigesprochen wurde, bekannten diese beiden Mädchen, mittlerweile erwachsene Frauen, dass sie die ganze Geschichte erfunden hatten, nachdem sie einen Taxifahrer dabei beobachtet hatten, wie er hinter einem Busch urinierte. Noch verwerflicher war, dass die Polizei beim Prozess gegen Kiszko Beweise unterschlug, von denen sie wusste, dass sie Kiszkos Unschuld belegen würden.
    Kiszko, der an Hypogenitalismus litt, war unfrucht-37

    bar. Das war der Polizei 1975 bekannt. Eine im Rahmen der Ermittlungen genommene Samenprobe
    Kiszkos hatte kein Sperma enthalten. Der Pathologe, der Lesley Molseeds Kleidung untersucht hatte, hatte aber in den Samenflecken auf ihrer Unterwäsche Sperma gefunden. Die Polizei unterschlug diesen Sachverhalt sowohl der Verteidigung als auch dem Gericht, er kam erst ans Licht, als 1990 eine Prüfung des Falls angeordnet wurde. Zwei Jahre später, als das Berufungsgericht über einen Antrag Kiszkos verhandelte, sagte der Richter, Lord Chief Justice Lane: »Es ist erwiesen, dass dieser Mann nicht fähig ist, Sperma zu bilden. Das Sperma, das auf Schlüpfer und Rock des Mädchens sichergestellt wurde, kann daher nicht von ihm stammen, und er kann infolgedessen nicht ihr Mörder sein.«
    Kiszko wurde unverzüglich auf freien Fuß gesetzt. Aber die Brutalität seiner Mitgefangenen, die ihn häufig misshandelt hatten, hatte ihn in eine Welt der Wahnvorstellungen getrieben, wo an jeder Ecke Verschwörer lauerten. Er war überzeugt, dass selbst seine Mutter – eine einsame Stimme, die unerschütterlich seine Unschuld beteuerte – Teil der Verschwörung gewesen war, ihn zum Schuldigen zu machen, und brauchte erst neun Monate der Rehabilitation, ehe er zu ihr nach Hause zurückkehren konnte. Er starb anderthalb Jahre später, körperlich und seelisch am Ende. Seine Mutter folgte ihm sechs Monate danach.
    38

    Die öffentliche Empörung über die Art und Weise, wie man mit Kiszko umgesprungen war, war riesengroß. Nur wenigen war klar, dass sie selbst mit ihrem blutdürstigen Geschrei nach der Ermordung eines Kindes den Druck auf die Polizei, einen Schuldigen zu finden, verstärkt hatten.
    Howard Stamp
    Stamp, der in der Schule wegen seiner Hasenscharte und seiner Sprechbehinderung gnadenlos gehänselt wurde, war als Schulschwänzer und ›arbeits-scheu‹ abgestempelt worden, nachdem er sich aus Angst vor seiner Umwelt immer mehr abgekapselt hatte. »Jedes Mal, wenn er aus dem Haus gegangen ist, haben sie ihn verspottet«, sagte seine Mutter zu seiner Verteidigung. »Er hat komisch ausgesehen und konnte nicht lesen und schreiben.«
    Heute würde man ihm das Etikett ›autoaggressiv‹ aufdrücken. Er litt nicht nur an einer schweren Essstörung – er war zum Erbarmen dünn und körperlich unterentwickelt –, sondern pflegte sich au-
    ßerdem mit Rasierklingen in die Arme zu schneiden.
    Seine Mutter
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