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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler
Autoren: Sebastian Fitzek
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mit Powerboost.« Julian nickte eifrig, während er mit beiden Händen eine prall gefüllte Ikea-Tragetasche über das Linoleum zog. Ich hatte ihm mehrfach meine Hilfe angeboten, aber er wollte den schweren Sack unbedingt alleine durch das Krankenhaus schleppen. Typischer Fall von »Ich bin schon stark genug«-Phantasien, die alle Jungen irgendwann einmal erfassen, irgendwo zwischen der »Ich will aber nicht alleine«- und der »Ihr könnt mich alle mal«-Phase. Das Einzige, was ich tun konnte, ohne seinen Stolz zu verletzen, war, etwas langsamer zu gehen. »Das Ding brauche ich nicht mehr!«, sagte Julian bestimmt. Dann fing er an zu husten. Erst klang es so, als hätte er sich nur verschluckt, dann wurde sein Husten immer kehliger. »Alles in Ordnung, Kleiner?« Ich setzte die Kiste ab. Schon als ich ihn von zu Hause abgeholt hatte, war mir sein gerötetes Gesicht aufgefallen, doch Julian hatte die schwere Tüte ganz allein in den Garten gewuchtet, und so hatte ich angenommen, seine verschwitzte Hand und die feuchten Locken, die ihm im Nacken klebten, wären auf diese Anstrengung zurückzuführen.
    »Hast du etwa immer noch diese Erkältung?«, fragte ich besorgt.
    »Ist schon wieder gut, Papi.« Er wehrte meine Hand ab, mit der ich nach seiner Stirn tasten wollte. Dann hustete er wieder, aber es klang tatsächlich etwas besser als zuvor.
    »War Mami mit dir mal beim Arzt?«
    Vielleicht sollten wir dich hier durchchecken lassen, wenn wir schon mal in einem Krankenhaus sind.
    Julian schüttelte den Kopf.
    »Nein, nur ...« Er stockte, und ich fühlte Wut in mir aufsteigen. »Nur was?«
    Er wandte sich schuldbewusst von mir ab und griff nach den Tragegriffen der Tasche.
    »Moment mal, ihr seid doch nicht etwa wieder bei diesem Schamanen gewesen?«
    Er nickte zaghaft, als würde er mir gestehen, etwas angestellt zu haben. Nur dass ihn in diesem Fall überhaupt keine Schuld traf. Es war seine Mutter, die sich immer mehr auf esoterische Abwege begab und unseren Sohn lieber zu einem indischen Wunderguru als zum Hals-Nasen-OhrenArzt schleppte.
    Vor langer Zeit, als ich mich gerade in Nicci verliebte, hatte ich mich noch über ihre Spleens amüsiert, fand es sogar unterhaltsam, wenn sie mir die Zukunft aus den Linien meiner Hand lesen wollte oder mir offenbarte, dass sie in einem früheren Leben eine griechische Sklavin gewesen war. Doch mit den Jahren wurden aus ihren harmlosen Verschrobenheiten handfeste Macken, die gewiss auch ihren Teil dazu beigetragen haben, dass ich mich erst seelisch und dann körperlich von ihr löste. Zumindest will ich mir das gerne einreden, um nicht die Alleinschuld am Scheitern unserer Ehe zu tragen.
    »Was hat dieser Quacksa..., dieser Schamane denn gesagt?«, fragte ich und schloss zu meinem Sohn auf. Ich musste mir Mühe geben, nicht aggressiv zu klingen. Julian hätte es auf sich bezogen, und er konnte nun wahrlich nichts dafür, dass seine Mutter weder an die Schulmedizin noch an die Evolutionstheorie glaubte. »Er meinte, meine Chakren seien nicht richtig aufgeladen.« »Die Chakren?« Blut schoss mir ins Gesicht.
    »Na klar, die Chakren. Warum bin ich da nicht selbst draufgkommen? Vermutlich war das auch der Grund, weshalb unser Sohn sich vor zwei Jahren das Handgelenk beim Skateboardfahren gebrochen hat«, hielt ich Nicci einen stummen Vortrag. Damals schon hatte sie den Chirurgen ernsthaft gefragt, ob eine Betäubung nicht durch Hypnose ersetzt werden könne.
    »Du solltest was trinken«, sagte ich, um das Thema zu wechseln, und deutete auf den Getränkeautomaten. »Was willst du?«
    »Cola«, jubelte er sofort. Alles klar. Eine Cola.
    Nicci würde mir den Kopf abreißen, so viel stand fest. Meine Noch-Ehefrau kaufte grundsätzlich nur in Ökoläden und Biosupermärkten, eine chemiehaltige Koffeinbrause stand unter Garantie nicht auf ihrer Einkaufsliste. Tja, aber Fencheltee gibt's hier nun mal nicht, dachte ich und tastete meine Jackentaschen nach meinem Portemonnaie ab. Eine unerwartete Stimme hinter mir, jung und doch verbraucht, ließ mich zusammenfahren. »Was für eine Überraschung, die Zorbachs!«
    Die blonde Krankenschwester, an die ich mich wegen ihrer auffälligen Oberlippenpiercings noch dunkel von unserem Besuch im letzten Jahr erinnerte, hatte sich wie aus dem Nichts materialisiert und stand jetzt mit ihrem bunt bemalten Teewagen im Flur des Krankenhauses. »Hallo Moni«, sagte Julian, der sie offenbar auch wiedererkannte. Sie schenkte ihm ein einstudiertes »Kleine
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