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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler
Autoren: Sebastian Fitzek
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einmal war die Angst noch größer. So groß, dass er das stinkende Rinnsal zwischen seinen Beinen nicht bemerkte. Die Angst, lebendig begraben zu sein, schaffte nun das, was die Enge seines unsichtbaren Gefängnisses nicht vollständig vermocht hatte. Sie lähmte ihn. Toby schluckte erneut und dachte, die Dunkelheit war wie ein lebendiges Wesen, das einen festhalten konnte und das nach Metall schmeckte, wenn man es hinunterschluckte. Ihm wurde übel, so wie damals auf der langen Autofahrt, als er hatte lesen wollen und Papa sauer wurde, weil sie anhalten mussten. Er hielt die Luft an, um sich nicht übergeben zu müssen, als plötzlich ... Scheiße, was...?
    Toby ließ die Zunge im Mund umherwandern und stieß auf einen Fremdkörper. Himmel, was ist das?
    Das Ding klebte am oberen Gaumen wie ein Kartoffelchip, der sich dort festgesaugt hatte. Nur seine Oberfläche war fester, glatter. Und kühler.
    Er ließ die Zunge weiter über den Gegenstand gleiten und spürte, wie sich immer mehr Speichel ansammelte. Intuitiv atmete er nur noch durch die Nase und unterdrückte den drängenden Schluckreiz. So lange, bis der Fremdkörper sich mit einem leisen Schmatzen vom Gaumen löste und ihm auf die Zunge fiel.
    Und dann wusste er es. Auch wenn Toby sich nicht erinnern konnte, wie er hierhergekommen war, wer ihn verschleppt und versteckt hatte und warum er hier gefangen gehalten wurde, auch wenn er nicht die geringste Vorstellung davon besaß, was das dunkle Nichts überhaupt war, das ihn umgab, so hatte er wenigstens dieses eine Rätsel gelöst.
    Ein Geldstück.
    Bevor Tobias Traunstein in das dunkelste Verlies der Welt geworfen worden war, hatte ihm jemand eine Münze in den Mund gelegt.
     

80. Kapitel
(Noch 44 Stunden und 31 Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums)
Alexander Zorbach (Ich)
     
    Du gefühlloses, unzuverlässiges, egomanisches Arsch loch.« »Du hast widerwärtig und dummdreist vergessen.« Meine Stimme klang ruhig, viel ruhiger als sonst, wenn ich mit meiner Noch-Frau stritt. Noch, denn bei unserem letzten Zusammentreffen hatten wir die Scheidung beschlossen. Jetzt wiederholte Nicci den Satz, den sie mir an jenem Abend schon einmal an den Kopf geworfen hatte: »Manchmal frage ich mich wirklich, wie ich jemals mit dir zusammenkommen konnte!« Gute Frage. Ich nehm den Publikumsjoker! Ehrlich gesagt war es mir selbst völlig unklar, was Frauen an mir fanden. Allein im Hörsaal der psychologischen Fakultät, in dem Nicci und ich uns kennengelernt hatten, hatte es eine Menge Männer gegeben, die attraktiver, größer und ganz gewiss charmanter gewesen waren, als ich es bin. Dennoch hatte sie sich für mich entschieden. An meinem Äußeren konnte das nicht gelegen haben. Ich hasse es, mich auf Fotos zu sehen. Von zweihundert Schnappschüssen gibt es maximal einen, für den ich mich nicht schäme. Meist ist es das verwackelte oder schlecht ausgelichtete Bild, bei dem man nicht sieht, dass sich mein Kinn langsam verdoppeln will. Früher hat man mich wegen meines traurigen Blicks oft mit Nicolas Cage verglichen, heute teile ich mir mit ihm allenfalls noch die schüttere Frisur. Seit meinem dreißigsten Geburtstag habe ich jährlich ein Kilo Gewicht draufgelegt. Und das, obwohl ich Fast Food meide und zweimal die Woche joggen gehe. Nicci hatte es einmal auf den Punkt gebracht, als sie mich zu Beginn unserer Beziehung ein »Liebhaberobjekt« nannte. Wie ein renovierungsbedürftiger Oldtimer: alt genug, um die Abwrackprämie zu kassieren, aber trotz seiner Macken zu attraktiv, um ihn einfach gegen ein neues Modell einzutauschen. Was diesen Punkt anging, hatte sie ihre Meinung mittlerweile natürlich geändert.
    »Welcher Vater lässt seinen zehnjährigen Sohn allein in einem Sterbehospiz zurück?«, fragte sie wütend. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ihr zu erklären, dass Julian sich sehr verständnisvoll gezeigt hatte, als ich ihn aus dem Auto anrief, um ihn zu bitten, die Geschenke heute alleine zu verteilen, da ein Notfall eingetreten war. Immerhin musste ich zu einem Tatort, da konnte ich schlecht einen Zehnjährigen mitschleppen. »Und welche Mutter schickt ihren Sohn mit einer Bronchitis zum Schamanen?«, erwiderte ich. Verdammt, was würde ich jetzt für eine Zigarette geben. Unbewusst fasste ich mir an den rechten Oberarm, wo ich das Raucherentwöhnungspflaster aufgeklebt hatte. Den Hörer hielt ich zwischen Kinn und Nacken eingeklemmt. »Das ist unter meinem Niveau, Alex«, sagte Nicci nach einer
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