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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler
Autoren: Sebastian Fitzek
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kurzen Pause. »Du hast Julian noch nicht einmal Geld für ein Taxi dagelassen.«
    »Weil ich meine Brieftasche irgendwo verloren haben muss. Herrgott noch mal. Manchmal laufen Dinge eben nicht so glatt.«
    Manchmal werden sogar Kinder entführt und ermordet. »In deiner Welt, Alex«, erwiderte sie, »in deiner Welt geschieht ein Unglück nach dem anderen, weil du diese Schwingungen hast.«
    »Bitte nicht schon wieder ...«
    Meine Hände zitterten, und ich versuchte, mich zu beruhigen, indem ich sie noch enger um das Lenkrad presste. Seitdem ich mit dem Rauchen aufzuhören versuchte, war meine innere Unruhe noch schlimmer geworden als zuvor. Trotz juckendem Pflaster auf dem Trizeps. »Das ist deine negative Energie. Du ziehst das Böse regelrecht an«, sagte sie fast mitleidig.
    »Ich schreibe nur darüber. Ich berichte über die Fakten. Da draußen läuft ein Psychopath frei herum, der Familien auf eine Art und Weise zerstört, die so grausam ist, dass selbst das Schmierblatt, für das ich arbeite, sich nicht traut, alle Details abzudrucken.«
    Er spielt das älteste Kinderspiel der Welt: Verstecken. Und er spielt es, bis die gesamte Familie daran zerbrochen ist. Er spielt es bis zum Tod.
    Mein Blick wanderte zu der alten Tageszeitung auf dem Beifahrersitz mit der Schlagzeile, die ich selbst formuliert hatte:
Der Augensammler. Schon wieder! Drittes Kind tot aufgefunden.
    Wie schon mein früherer Beruf als Unterhändler hatte mich auch mein neuer Job bei der Zeitung oft an die Grenzen des Erträglichen geführt. Doch der Fall des Augensammlers, der die Mütter der entführten Kinder tötete und den Vätern nur wenige Stunden Zeit gab, ihre Kinder wiederzufinden, bevor sie in einem Versteck erstickten, in das sie verschleppt worden waren, hatte dem Grauen eine neue Dimension verliehen. Und der Fakt, dass der Psychopath den Kinderleichen jeweils das linke Auge entfernte, sprengte endgültig die Grenzen des Vorstellbaren. »Negative Gedanken manifestieren sich in der Realität«, dozierte Nicci weiter. »Denk positiv, und das Positive wird dir begegnen.«
    Ich hatte mittlerweile auf dem Stadtring die Ausfahrt Messedamm erreicht und zählte rückwärts von zehn herunter, doch es funktionierte nicht. Bei sieben fiel ich schon aus der Rolle.
    »Positives Denken? Bist du mittlerweile vollkommen durchgeknallt? Der Augensammler hat schon drei Spielrunden hinter sich.«
    Sechs Tote: drei Mütter, zwei Mädchen, ein Junge. »Glaubst du etwa, der Irre hört damit auf, wenn ich jetzt rechts ranfahre und ein lustiges Liedchen trällere? Nein, noch besser: Vielleicht gebe ich einfach eine Bestellung an das Universum auf, so wie es in dem Buch steht, das auf deinem Nachttisch liegt.« Ich redete mich in Rage. »Oder ich rufe eine von diesen Astrologie-Hotlines ab, für die du ein Vermögen verpulverst. Vielleicht kann die Hausfrau am anderen Ende der Leitung ja mal kurz in den Kaffeesatz schauen, wo der Augensammler sich versteckt?« Ich nahm das Handy vom Ohr, um den anklopfenden Anrufer zu identifizieren.
    »Bleib bitte dran«, sagte ich und nahm dankbar den zweiten Anruf entgegen.
     

79. Kapitel
    Hallo Alex. Ich bin's, dein Lieblingsvolontär.«
    Frank Lahmann. Hätte er mich in einem besseren Moment erwischt, hätte ich ihn gefragt: »Lieblingsvolontär? Hast du etwa gekündigt?«, doch ich war gerade nicht zum Scherzen aufgelegt, also beließ ich es bei einem knappen »Hallo«. »Ich störe dich ja nur ungern bei deinem Mittagsschlaf, Zorbach, aber Thea fragt, ob du zur 12-Uhr-Konferenz kommst.«
    Die meisten Kollegen in der Redaktion hatten Probleme mit Franks vorlauter Art, doch ich hatte einen Narren an dem einundzwanzigjährigen Grünschnabel gefressen -vielleicht, weil wir auf einer altersüberschreitenden Wellenlänge lagen. Die meisten Frischlinge, die bei uns in der Redaktion saßen, taten dies aus den falschen Gründen: Sie fanden es cool, in den Medien zu arbeiten, und hofften darauf, irgendwann ebenso im Mittelpunkt zu stehen wie die Story, an der sie arbeiteten. Bei Frank war das anders. Für ihn war Journalismus kein Beruf, sondern eine Berufung, die er vermutlich auch dann ausleben würde, wenn unsere Zeitung ihm noch weniger Geld zahlte. Bei den Überstunden, die er freiwillig anhäufte, lag sein Stundensatz aktuell auf dem Niveau eines somalischen Feldarbeiters. Wenn ich früher in Romanen die Formulierung las: »Ich erkenne mich selbst in dir!«, hatte ich immer die Augen verdreht und den Kitsch
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