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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler
Autoren: Sebastian Fitzek
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Wissen, das sich ihm beim Durchforsten der Nachrichtenagenturen, Bibliotheken und des Internets offenbarte, bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit zu Gehör bringen wollte. »Wir treffen uns in einer Viertelstunde«, sagte ich und wechselte zu Nicci zurück, die zu meiner Überraschung noch in der Leitung wartete.
    »Hör zu, es tut mir leid, dass du Julian jetzt abholen musst«, versuchte ich es nun mit einem verbindlicheren Tonfall. Der Regen fiel wieder dichter, die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt, und vor mir kroch ein Mann mit Hut. »Ich verspreche dir, es kommt nicht wieder vor. Aber jetzt muss ich wirklich meinen Job machen.« Nicci seufzte. Auch sie schien sich in der Zwischenzeit etwas beruhigt zu haben. »Ach Alex. Was ist nur aus dir geworden? Du könntest über so vieles schreiben. Über Glück und Liebe, zum Beispiel. Oder über Menschen, die mit ihren selbstlosen Taten und Gedanken die Welt verändern.« Ich fuhr an einer Laubenpieperkolonie vorbei, bis der Asphalt aufhörte und die Straße sich in einen schlaglöchrigen Waldweg verwandelte. Früher hatte ich hier oft Tennis gespielt, daher kannte ich mich in dieser Gegend aus. Es war nicht der direkte Weg zum Kühlen Weg, aber in Fällen wie diesen war es von Vorteil, nicht durch die Vordertür hereinzuplatzen.
    »Aber der Vorfall damals ...« Auf der Brücke ...
    ». hat etwas in dir zerstört. Du wurdest zwar in allen Punkten freigesprochen, doch nicht vor deinem eigenen Gericht, hab ich recht? Dabei haben wir das doch schon x-mal durchgekaut: Du hast in Notwehr gehandelt. Es war richtig. Es gibt ja sogar ein Amateurvideo, das deine Aussage bestätigt.«
    Ich schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen. »Anstatt den Hinweis des Schicksals zu akzeptieren und dein Leben zu verändern, jagst du heute immer noch den Verbrechern hinterher. Vielleicht nicht mehr mit der Pistole, aber dafür mit Diktiergerät und Kugelschreiber. Du bist immer noch auf der Suche nach den Abgründen.« Niccis Stimme bebte. »Sag mir, weshalb? Was fasziniert dich so am Tod, dass du darüber dein Kind, deine Familie und sogar dich selbst vernachlässigst?«
    Ich krallte meine zitternden Hände wieder fester ins Lenkrad.
    »Ist es, weil du dich bestrafen willst? Suchst du das Böse, weil du dich möglicherweise selbst für einen schlechten Menschen hältst?«
    Ich hielt die Luft an und sagte nichts, sondern starrte nur durch die Windschutzscheibe vor mir und dachte nach. Als ich schließlich doch noch etwas erwidern wollte, merkte ich, dass die Frau, die einst glaubte, nur der Tod würde uns scheiden, nicht mehr in der Leitung war.
    Der Waldweg war zu einem Trampelpfad für Pferde geworden. Links von mir reihte sich eine spießige Kleingartenlaube an die nächste, rechts befanden sich die Tennisplätze von Tennis Borussia. Ich ignorierte das Verbotsschild für Kraftfahrzeuge jeder Art und schaukelte den Volvo langsam um die Ecke.
    Das wirklich Schlimme ist, dachte ich, während ich in etwa zweihundert Metern Entfernung den Tross der Einsatzwagen erkannte, die mit eingeschaltetem Warnlicht die Zufahrt zum Kühlen Weg absperrten ... das wirklich Schlimme ist, dass in Niccis verschrobener Weltanschauung ein Fünkchen Wahrheit steckt.
    Ich setzte mit meinem Volvo zurück und parkte ihn an dem schlammbedeckten Maschendrahtzaun, der den Waldweg von den verwaisten Tennisplätzen abtrennte. Nicht ohne Grund war ich so lange mit ihr zusammen gewesen - trotz der Gegensätze, trotz der ewigen Streitereien um Kindeserziehung und Lebensplanung. Wir lebten seit einem halben Jahr in Trennung, aber natürlich war sie mir immer noch näher als jeder andere erwachsene Mensch auf diesem Planeten.
    Ich stieg aus, entriegelte den Kofferraumdeckel, zog meinen Einsatzkoffer unter der Sporttasche hervor und öffnete ihn.
    Sie hat mich durchschaut, dachte ich, während ich die Schutzkleidung anlegte, die verhindern sollte, dass ich den Tatort kontaminierte: ein schneeweißer Kunststoffanzug und ein Paar hellgrüne Plastiküberschuhe, die ich mir über meine ausgelatschten Timberland-Stiefel streifte.
    Das Böse zieht mich an.
    Unwiderstehlich.
    Und ich weiß nicht, weshalb.
    Ich schlug den Kofferraum zu und spähte die Straße hinunter, die zum Tatort führte. Dann drehte ich mich zur Seite und verschwand im Wald.

78. Kapitel
    (Noch 44 Stunden und 6 Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums)
Philipp Stoya (Leiter der Mordkommission)
    Stoya sah in die Augen der Toten und konnte ihre
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