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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler
Autoren: Sebastian Fitzek
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ich mich für eine andere Lösung, dem Versteck den Sauerstoff zu entziehen - indem ich es flutete.
    Sie spielen ein schreckliches, ein krankes Spiel, werden Sie mir zurufen. Ein faires Spiel, werde ich Ihnen antworten. Selbst die Opfer haben eine reale Chance, wie man an dem kleinen Tobias sieht.
    Er hätte sich all die Stunden gar nicht so sehr abmühen müssen. Selbst wenn er im Koffer geblieben und sich nicht aus der Kiste befreit hätte, wäre er nicht vor Ablauf des Ultimatums gestorben, er wäre eingeschlafen. Allerdings habe ich ihm die Werkzeuge nicht beigelegt, um ein perverses Vergnügen aus seinen nutzlosen Bemühungen zu ziehen. Weder die Münze noch der Schraubenzieher waren Grabbeigaben, sondern echte Hilfsmittel, mit denen ich ihm eine Chance auf Selbstbefreiung gab, die mein Bruder und ich niemals hatten. Leider ließ Toby sich zu sehr verunsichern, als der Fahrstuhl plötzlich wenige Meter nach unten fuhr, nur weil er an dem Seil gezogen hatte. Hätte er einen klaren Kopf bewahrt und sich an dem Seil nach oben gezogen, hätte er eventuell die Luke öffnen können, durch die Zorbach später einstieg. Aber Tobias verpasste seine Chance, und wenig später fuhr der Fahrstuhl endgültig in den überfluteten Keller. Exakt nach fünfundvierzig Stunden und sieben Minuten. Auch hier erkennen Sie, wie großzügig ich bin, da ich die Zeit, die ein gesunder Mensch unter Wasser verbringen kann, nicht in meine Rechnung mit einbezog.
    Wenn Sie sich jetzt fragen: »Und was ist mit Lea? Wieso war sie nicht in dem Aufzug?«, enthüllt allein dieser Gedanke, dass Sie rein gar nichts verstanden haben. Mir geht es doch nicht darum, eine Familie auszulöschen. Ich habe damals den Liebestest überlebt, und somit durfte es auch bei dieser Spielrunde eine Überlebende geben. Der Sauerstoff in Leas Kühlschrank hätte noch lange gereicht. Eher wäre sie in ihrem Versteck verdurstet.
    Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Das Spiel ist gerecht, und noch nie wurde es so fair wie im Falle von Zorbach gespielt.
    Ich habe ihn gewarnt, wenngleich jede Warnung auch eine Probe war. Aber ist es nicht so mit jeder Sünde im Leben? Auf der Zigarettenschachtel lauert ein Totenkopf, und gleichzeitig wissen wir um den berauschenden Effekt des Inhalts. Jede Warnung ist gleichzeitig eine Verlockung. So wie Alina, meine blinde Seherin, die ich zu Zorbach auf sein Hausboot schickte. Die Adresse hatte mir seine Mutter verraten. Natürlich nicht persönlich, denn zum Sprechen ist sie ja kaum mehr in der Lage. Aber das Tagebuch in ihrem Nachttisch, aus dem Zorbach ihr immer vorlas, wenn er die Zeit fand, sie zu besuchen, enthielt eine detaillierte Beschreibung jenes Tages, an dem sie durch Zufall den geheimen Pfad im Wald fand. Ich hatte mir das Buch geborgt, als ich meine Großmutter im Sanatorium besuchte.
    Sicher ist es kein Zufall, dass meine Oma aus dem Altersheim, in dem sie so gequält worden war, ausgerechnet in das Sanatorium verlegt wurde, in dem heute auch Zorbachs Mutter liegt. Ich selbst hatte ja nach meinem Artikel dafür gesorgt, dass sie in ein Heim kam, in dem man besser auf seine Patienten achtgibt. Hier, im Park-Sanatorium - so wusste ich dank meiner Recherchen - war Katharina Vanghal, die Pflegerin, die meine Oma so vernachlässigt hatte, schon einmal enttarnt und fristlos entlassen worden. Monate bevor sie von einem nachlässigen Personalchef eines anderen Heimes wieder angestellt wurde, um nun meine Oma in ihrem eigenen Bett vergammeln zu lassen, bis sie bis auf die Knochen wundgelegen war. Deku-bitus. Eine Qual, die ich der Vanghal mit gleicher Münze heimgezahlt habe, als ich in ihr Haus eindrang, sie sedierte und in Plastikfolie wickelte. Zu diesem Zeitpunkt war das nichts als eine wohltuende, reinigende Rache. Ich wusste noch nicht, dass auch ihre lebendige Verwesung einmal einen Sinn innerhalb meines großen Spiels ergeben würde. Als Zorbach und Alina den Strafzettel überprüfen lassen wollten, schickte ich sie zu Vanghals Bungalow. Das war die Verlockung. Gleichzeitig warnte ich Zorbach ausdrücklich davor, ihn zu betreten. Gab ihm sogar Zeichen über das elektronische Laufband an der Haustür, das ich mit einer einfachen SMS verändern kann.
    Auch hier hatte er die Wahl: weitermachen oder kapitulieren?
    Und wieder entschied er sich gegen seine Familie und für das Spiel. Obwohl sein Kind krank war. Obwohl Julian Geburtstag hatte, betrat er die Finsternis. Wieder verhielt er sich nicht anders als all die
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