Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
gebrochen, um Jahre gealtert, als wäre in dem Moment, als er seine tote Frau in den Arm nahm, alles Leben auch aus ihm gewichen -, das hat mir das Herz zerrissen.
    Er war ein Mentor für mich, der Vater, den ich nie hatte. Jemand, dem ich nacheifern wollte, der mir einVorbild war. Nicht nur am Arbeitsplatz, wo ich seinen Eifer und seinen Humor imitierte. Selbst äußerlich wollte ich ihm gleichen, wenn ich mir heimlich die Anziehsachen kaufte, die auch er mit Vorliebe trug. Kleidung, in der ich nach dem Verlassen von Alinas Praxis von der Kamera der Galerie gefilmt worden war Was hatte ich nicht alles getan, nur um ihm nahe zu sein, und jetzt hatte er alles zerstört. Wieso nur hatte er so lange so fest die Augen verschlossen? Wollte er es denn nicht sehen? Meine unzähligen Hinweise, die ihm die Gefahr des Spiels vor Augen führten und ihn warnen sollten, sich nicht unüberlegt hineinzustürzen! Zugegeben, ich wollte spielen. Aber nicht mit ihm. Er hatte in dieser Runde nichts zu suchen. Sie können mir sicher einiges vorwerfen. Nur nicht, dass ich ein unfairer Spielleiter gewesen wäre. Ich habe es Ihnen schon einmal geschrieben, und jetzt haben Sie den Beweis: Ich halte mich an die Regeln, die ich bestimmt habe, und wenn ich sie doch einmal ändere, dann immer nur zugunsten meiner zahllosen Gegner.
    In Zorbachs Fall habe ich ihm schon lange vor Beginn der ersten Runde die Wahl gelassen, ob er sich überhaupt auf das Spielfeld begeben will.
    Die Stimmen im Polizeifunk, verursacht durch einen kleinen Störsender, den ich mir mit Hilfe weniger Gerätschaften gebaut habe, die in jedem gut sortierten Elektronikmarkt erhältlich sind. Dann die Brieftasche, die ich ihm in der Redaktion entwendet und am Tatort plaziert habe. Damit hatte ich ihn an einen Scheideweg geführt. Nun lag es an ihm, die Zeichen zu deuten. Waren sie eine Mahnung, den Augensammler zur Strecke zu bringen, um sich selbst von dem Verdacht reinzuwaschen? Oder eine Warnung, sich um das zu kümmern, worauf es im Leben wirklich ankommt: um die Familie. Zorbach hat sich entschieden. Er hat die Arbeit über das Wohl seines Kindes gestellt und sich darangemacht, mich zu jagen. So wie all die anderen Väter, deren Kinder ich bislang versteckte. Väter, die ihr Leben lang die Wahl hatten, ob sie lieber Geld verdienen und rumhuren oder sich mehr um ihr eigen Fleisch und Blut kümmern wollten.Väter, die so egoistisch und rücksichtslos waren wie mein eigener, der lieber mit seinen Saufkumpanen um die Häuser zog, als uns aus der Kühltruhe zu befreien. Ein Egoismus, der meinen kleinen Bruder das Leben und mich den Verstand kostete. So würde es ein Psychiater zumindest analysieren. Natürlich, das gebe ich gerne zu, ist es verhaltensauffällig, dass ich stets die Rahmenbedingungen herstelle, die mir und meinem Bruder damals gegeben waren. Eine Mutter, die für uns gestorben war und die ich deshalb von Anfang an vom Spielfeld verbannen muss. Ein Vater, der sein Kind vernachlässigt. Ein Versteck, dessen Luft fünfundvierzig Stunden und sieben Minuten vorhält, und eine Leiche, der wie meinem Bruder das linke Auge fehlt.
    Ich habe lange daran getüftelt, wie ich das genaue Ultimatum garantieren kann, denn es widerspräche den Regeln des Spiels, wenn ein Teilnehmer womöglich schon vor Ablauf der Frist erstickte. Ebenso unfair wäre es, wenn einem Kind mehr Zeit als dem anderen zur Verfügung stünde. Mein Bruder hatte auch nur fünfundvierzig Stunden und sieben Minuten, und es gab keinen Joker, den er hätte ziehen können, um sich einen weiteren Luftvorrat zu erkaufen. Am liebsten hätte ich auch eine Gefriertruhe benutzt, aber leider ist es nahezu unmöglich, im Voraus zu berechnen, wie lange man in solch einem luftdichten Verlies überlebt. Jemand, der in Panik hyperventiliert, verbraucht die Restmenge schneller als ein Schlafender, und ich selbst bin der lebende Beweis, dass zwei Menschen unterschiedlich lange mit ein und derselben Sauerstoffmenge auskommen können. Somit sah ich die einzige Möglichkeit, annähernd identische Rahmenbedingungen zu schaffen, darin, die Luft zu einem von mir vorherbestimmten Zeitpunkt vollständig aus dem Versteck zu lassen. Meine Versuche im Bungalow der Krankenschwester, den Keller mit Hilfe einer Pumpe leerzusaugen, waren nicht sehr überzeugend, und ich bezweifle auch, dass Zorbach und Alina hier unten erstickt wären, da es mir nie so recht gelungen war, die Kellerräume wirklich luftdicht abzuriegeln. Somit entschied
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher