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Der Aufstieg des Hotel Dumort

Der Aufstieg des Hotel Dumort

Titel: Der Aufstieg des Hotel Dumort
Autoren: Ulrike Köbele
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Drinks auf den Tischen ab. Alles wird gut. Bitte bleiben Sie sitzen.«
    Magnus hatte inzwischen genügend Stammgäste, dass sich unter ihnen bereits eine gewisse Routine eingestellt hatte. Diese Gäste nahmen Platz und zündeten sich gut gelaunt ihre Zigaretten an, ohne sich groß nach den Äxten umzusehen, die bereits durch die Tür krachten.
    »Licht!«, rief Magnus dramatisch.
    Im Gleichklang schalteten die Kellner sämtliche Lichter aus, sodass die Flüsterkneipe in völliger Dunkelheit versank, wenn man einmal von den glühenden Zigarettenspitzen absah.
    »Und nun, verehrtes Publikum«, verkündete Magnus über die Rufe der Polizisten, das Krachen der Äxte und das Splittern des Holzes hinweg, »zählen wir gemeinsam bis drei. Eins!«
    Nervös stimmten alle bei »zwei« ein. Auf »drei!« folgte ein blauer Blitz, dann gab die Tür krachend nach und die Polizisten stolperten in den Raum. Im selben Moment gingen die Lichter wieder an. Allerdings war die Flüsterkneipe nicht mehr wiederzuerkennen. Vor den Stammgästen standen jetzt Porzellankännchen und Teetassen. Die Jazzband war einem Streichquartett gewichen, das umgehend eine beruhigende Melodie anstimmte. Auch die Flaschen hinter der Bar waren verschwunden; an ihrer Stelle befand sich ein gut sortiertes Bücherregal. Selbst die Einrichtung hatte sich verändert: Bücherregale und Samtvorhänge säumten die Wände und verbargen die Bar und sämtliche Alkoholvorräte.
    »Meine Herren!« Magnus breitete die Arme aus. »Willkommen zu unserem Tee- und Lesezirkel. Wir wollten soeben mit der Besprechung unseres heutigen Titels beginnen: Juda, der Unberührte von Thomas Hardy. Sie kommen gerade recht! Ich werde Sie wohl bitten müssen, für die Kosten der Tür aufzukommen, aber ich verstehe natürlich Ihre Eile. Zur Diskussionsrunde will man schließlich nicht zu spät kommen!«
    In der Menge brach Gelächter aus. Die Gäste schwenkten ihre Teetassen und winkten den Polizisten mit ihren Büchern zu.
    Magnus bemühte sich, den Ablauf jedes Mal ein bisschen anders zu gestalten. Einmal hatte er die Bar in ein Apiarium voller summender Bienenstöcke verwandelt. Ein anderes Mal hatte er einen Gebetskreis erschaffen, inklusive Nonnenhauben und Mönchskutten für die Gäste.
    Normalerweise verwirrte das die Polizei so sehr, dass die Razzien kurz und gewaltlos verliefen. Aber er konnte spüren, wie ihre Frustration mit jedem Mal wuchs. An diesem Abend wurde der Trupp von McMantry angeführt, dem korruptesten Polizisten, dem er je begegnet war. Magnus hatte sich aus Prinzip geweigert, Bestechungsgeld zu zahlen, daher war McMantry nun gekommen, um Mr Dry’s Bar dem Erdboden gleichzumachen. Diesmal waren sie bestens ausgerüstet. Jeder Wachmann hatte ein Werkzeug dabei – es gab mindestens ein Dutzend Äxte, ebenso viele Vorschlaghämmer und Brecheisen sowie die eine oder andere Schaufel.
    »Alle mitnehmen«, befahl McMantry. »Packt jeden Einzelnen in den Wagen. Und dann nehmt diesen Laden auseinander.«
    Magnus wackelte mit den Fingern hinter seinem Rücken, um das blaue Licht zu verbergen, das von den Fingerspitzen sprühte. Im nächsten Moment fielen vier Platten von den Wänden und gaben den Blick auf Korridore und Fluchtwege frei. Seine Kunden stürzten zu den neuen Ausgängen. Sie würden an vier verschiedenen Orten wieder herauskommen, die alle einige Blocks entfernt lagen. Nur ein kleiner, dezenter Schutzzauber. Niemand verdiente es, wegen eines Cocktails im Gefängnis zu landen. Einige Polizisten versuchten, ihnen nachzulaufen, mussten aber feststellen, dass die Gänge plötzlich alle im Nichts endeten.
    Magnus löste den aufwendigen Zauberglanz und die Flüsterkneipe erhielt ihr normales Erscheinungsbild zurück. Das brachte die Polizisten lange genug aus dem Konzept, dass er hinter einen nahen Vorhang schlüpfen und sich mit einem Unsichtbarkeitszauber belegen konnte. Dann marschierte er an ihnen vorbei nach draußen. Er hielt nur kurz inne, um zuzusehen, wie sie den Vorhang beiseitezogen und die Wand dahinter in Augenschein nahmen, wo sie einen Zugang zu dem Notausgang vermutet hatten.
    Draußen auf der Straße herrschte die dicke Luft einer stickigen Sommernacht. In New York war es oft auch Ende September noch heiß und die New Yorker Schwüle hatte eine ganz eigene Qualität. Die Luft war zäh und klebrig von den dunklen Wassern des East River und des Hudson, des Meeres und der Sümpfe, mit denen sie sich vollgesogen hatte; sie war voller Qualm und Asche, voll
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