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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
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frage mich auch, wo die beiden geblieben sind, nach denen ich suche, wo haben sie sich versteckt? Sie können gar nicht weit genug fliehen. Ich werde sie finden, auch wenn sie keine einzige Spur zurücklassen. Sie können nicht in die Ewigkeit, in das absolute Dunkel verschwinden. Am Ende werden sie an den Ort zurückkehren, von dem aus sie aufgebrochen sind. Das Universum ist genauso geordnet, man braucht nur genug Zeit. Es heißt auch, dass der Mensch umso weniger weiß, je weiter er geht. Und deshalb sollte ich gar nicht hinter ihnen herlaufen, sie suchen, ich hätte wie eine Spinne auf sie warten sollen, früher oder später wären sie mir ins Netz der Geduld gegangen, aber das spielt keine Rolle mehr.
    Manchmal habe ich den Eindruck, dass nur ganz wenig fehlt, um sie zu erblicken, nur ein Wimpernschlag. Wie oft haben wir uns nur um ein Haar verpasst, wie viele Male habe ich ein Café betreten, in dem sie am selben Morgen waren, oder sie betraten ein Geschäft, das ich soeben verlassen hatte? Und nun erwache ich in einem Städtchen an den Ufern eines trüben Flusses, und zwischen uns liegen … wie viel? Tausend Kilometer? Fünfzig Meter? Es ist nicht wichtig, denn schließlich hängt alles vom Maßstab ab, in dem man die Dinge betrachtet. In dem Maßstab, in dem der Kosmos erschaffen wurde, sind die beiden, die ich suche, irgendwo hier, auf diesem winzigen Pünktchen in der Milchstra-
ße – in Reichweite. Doch in dem Maßstab, in den uns unsere Geburt gezwängt hat, liegen Wände, Regentropfen, Wind, Straßen, Häuser, Chemiefabriken, Kasernen, Wolken, Rangierbahnhöfe, Silos, Favelas, Felsklippen, Moraste, Wälder und Flüsse zwischen uns, und manchmal erwischt mich bei dem Gedanken, dass ich sie in diesem ganzen Chaos finden muss, der Kleinmut.
    In dieses Städtchen am Donauufer, wo der Fluss sein Bett verlässt und durch die niederösterreichische Ebene zu mäandern beginnt, hat mich das Foto aus der Zeitung gebracht, die ich vor einigen Tagen im Café Hummel in der Wiener Josefstadt durchgeblättert habe.
    Was habe ich im Café Hummel gemacht?
    Ich wartete auf mein Frühstück.
    Nach Wien war ich auf der Spur einer E-Mail gekommen, die ich einige Tage zuvor bekommen hatte. Darin stand:
    »Die Hummel sitzt auf Josip, au weia.
    Läuft die Hummel auf Josip herum oder Josip auf der Hummel?
    Was für ein Theater, was für ein Theater in Josip’s Stadt«
    Im ersten Moment hatte ich die Botschaft nicht verstanden. Ich dachte, dass es eine jener E-Mails ist, mit denen uns tagtäglich religiöse, kosumverherrlichende, politische und sonstige Spammer bombardieren. Ich beachtete sie nicht weiter.
    Die Witwe hatte mich gerade erst angeheuert, und ich entschloss mich, alte Genossen und Freunde zu besuchen. In meinem Fall ist das eine ziemlich undankbare und unangenehme Aufgabe. Nicht, weil ich ein ehemaliger Häftling bin, der vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde, sondern wegen dem, was mich ins Gefängnis gebracht hat. Ich saß also auf der Terrasse des Teehauses Hanshan, in dem wir einst unsere Tage mit Unterhaltungen und Planungen für unsere Aktionen verbrachten. Auf dem Tisch vor mir dampfte eine Tasse Dian Hong-Tee. Am Nachbartisch saß Madame Spirlea und lächelte mir zu. Madame Spirlea war eine Wahrsagerin. Man erzählte sich, dass sie vielen Menschen Unannehmlichkeiten korrekt vorausgesagt hatte, aber selten jemandem irgendeinen Gewinn.
    Soll ich dir die Karten legen?
    Ich schüttelte den Kopf.
    Früher oder später, sagte ich, werden wir alle zu Staub, oder etwa nicht?
    Man kann es auch Staub nennen, sagte sie.
    Ich atmete den Duft von Wiese und Karamell aus der Tasse ein und sah eine Biene, die auf einer Lavendelblüte in einem Blumenkübel landete. Läuft die Biene auf der Blüte herum oder die Blüte auf der Biene?, überlegte ich.
    In diesem Moment blitzte Fraktalfrau vor meinem geistigen Auge auf. Sofort anschließend tauchte vor mir der Besitzer des Teehauses, Mišo China, auf.
    Also, du bist es tatsächlich, sagte er und sah mich feindlich an.
    Scheiße noch mal, China, was soll ich sagen, ich kann das, was du behauptest, nicht abstreiten. Deine Art, die Dinge festzustellen, ist echt tödlich. Wem auch immer du sagst, dass er es sei, der kann das kaum abstreiten.
    Du bist nicht in der Position, dich wichtig machen und Witze reißen zu können, sagte China drohend.
    Echt nicht? Und in welcher Position bin ich dann?
    Tja, sagen wir mal, du bist in der Position, jetzt schnell deinen Tee
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