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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
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Vertrag mit der Witwe – Mord durch Verdursten
    Heute Nacht träumte ich, dass ich ein grauhaariger alter Mann bin. Ich lebte im Haus meines Großvaters auf dem Dorf. Ich kenne meinen Großvater nicht, und ich war auch nie in dem Dorf, in dem er gelebt hatte, aber im Traum wusste ich, dass es sein Haus war. Es war am Morgen, ich wusch mich an dem Brunnen hinter dem Haus im Schatten eines alten Walnussbaums. Plötzlich hörte ich, wie im Hof ein Auto hielt. Dann hörte ich Stimmen. Ich zog mein Hemd an und ging um die Ecke. Meine Hunde, zwei Mischlinge, die im Hof angekettet waren, knurrten, bellten und rissen an den Ketten. Ich sah drei Männer im Hof. Sie hielten Netze in den Händen. Der Anhänger ihres Kleintransporters war vollgepackt mit Drahtkäfigen.
    Wer seid ihr, hätte ich sie gefragt, hätte ich sprechen können, wären meine Lippen nicht zusammengewachsen gewesen.
    Wir kommen zur Kontrolle, sagte einer von ihnen und begann zu kichern.
    Ich mag keine Menschen, die kichern, was wollen die hier, warum trampeln sie auf dem Rasen in meinem Hof herum?
    Zur Kontrolle, wiederholte der Typ, wobei er mit den Augen zwinkerte.
    Wir sind auf der Suche nach komischen Vögeln, sagte ein anderer.
    Was für Idioten, dachte ich und deutete auf das Haus. Ich gab ihnen zu verstehen, dass sie hineingehen, die Netze aber zurücklassen sollten.
    Das können wir nicht, sagte einer von ihnen und hob die Hand.
    Aus seinen Fingern sprossen die Fäden eines Netzes. Die Hunde knurrten wütend und fletschten die Zähne. Sie wollten mich warnen, aber ich hörte nicht auf sie. Hätte ich es doch getan. Sobald sie in die Diele getreten waren, in den langen Flur mit dem quietschenden Holzboden, warfen sie ihre Netze über mich – in diesem Moment wurde ich wach, in meinem Zimmer in der Pension, und sie blieben im Haus meines Großvaters, und ich kann sie nicht mehr hinausjagen, ich kann gar nichts mehr gegen sie unternehmen. Hätte ich doch zumindest die Hunde losgemacht, einen Stock genommen und sie vertrieben.
    Das erinnert mich an die alte Geschichte von Zhuang Zi, der einst träumte, er sei ein Schmetterling, der nichts von Zhuang Zi weiß. Dann wachte er plötzlich als Zhuang Zi auf, aber jetzt wusste er nicht mehr, ob er Zhuang Zi sei, der geträumt hatte, ein Schmetterling zu sein, oder ein Schmetterling, der gerade träumt, Zhuang Zi zu sein.
    Ich will damit sagen, dass ich gerne der Traum des grauhaarigen Mannes wäre. Und dass ich nur träume, dass ich im Bett in der Pension liege. Wenn ich als alter Mann im Haus meines Großvaters aufwache, werde ich einen Stock nehmen und jene Männer vertreiben.
    Aber ich wache in der Pension »Zu den drei Raben« in Krems an der Donau auf, nicht als grauhaariger alter Mann, sondern als Dreißigjähriger. Der Spiegel zeigt mir, dass die Zeit Furchen in meinem Gesicht hinterlassen hat, aber dass ich noch nicht grau geworden bin, und diese drei Taugenichtse werden allem Anschein nach bis auf weiteres im Haus meines Großvaters bleiben.
    Der Morgen ist verregnet, glitschig. Vom Fenster meines Zimmers im Dachgeschoss sehe ich den Fluss, breit, trübe und langsam. Ich sehe Pappeln, die Eisenbahnbrücke, tief hängende Wolken, den imposanten Klosterbau auf dem Hügel am anderen Ufer (er wurde nicht deshalb dort errichtet, damit die Fratres ihrem Gott näher kommen, sondern damit sie über den Menschen stehen). Der Berg wird unter dem Gewicht des Klosters zusammengepresst und stöhnt, er spürt kaum die Wolken. Ich sehe einen Lastkahn, der flussabwärts fährt, in einer Fensterecke sehe ich einen Teil der Eisenbahnschienen auf dem Bahndamm, ich sehe Dächer und den Wipfel einer Tanne, der über das Dach des gelben, dreistöckigen Hauses herausragt. Ich höre das gellende Pfeifen des Zuges am Bahnübergang, der am Museum des Verbrechens liegt (und dann erblicke ich ihn, während er pfeilschnell durch die Fensterecke rast), ich höre die Regentropfen, die auf das Dach fallen, das Dröhnen des Lastwagens, der über die Straße fährt, ich höre eine weibliche Stimme im Nachbarzimmer singen: Schöne Welt, wo bist du?
    Das frage ich mich auch ständig.
    Mein Nachbar ist ein schweigsamer, alter Mann, den ich bisweilen im Flur oder im Esszimmer treffe. Er ist immer mies gelaunt, sein Blick klebt am Boden. Deshalb haben wir bisher kein einziges Wort gewechselt. Wahrscheinlich ist er schwerhörig; die Musik, die aus seinem Zimmer dringt, zeugt zwar von gutem Geschmack, ist aber gewöhnlich sehr laut.
    Ich
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