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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
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Kräftige Fäuste, lange Finger, misstrauische Augen, die ihn musterten. Eine Zeit lang sahen sie sich schweigend an.
    Wer bist du?, fragte endlich der Mann.
    Ich glaube, dass mich eine Schlange gebissen hat, sagte Vida.
    Es sah nicht so aus, als hätte die Antwort den Mann zufrieden gestellt. Er verzog das Gesicht, nickte trotzdem mit dem Kopf und sagte:
    Eine Hornviper, aber sie hat nicht viel Gift gespritzt, und auch deine Hose hat dich gerettet.
    Mit den Fingerkuppen berührte Vida seinen Unterschenkel.
    Ich musste dein Hosenbein aufschneiden, sagte der Mann. Du hast dir den Fuß verstaucht, fügte er hinzu, als wollte er sich rechtfertigen.
    Ich dachte, ich hätte ihn mir gebrochen, sagte Vida.
    Der Mann sagte nichts. Er hockte dort und beobachtete ihn ruhig.
    Nikola Joki ć , endlich reichte er ihm die Hand.
    Ivan Vida. Ich habe geglaubt, dass ich ganz allein im Berg bin.
    Im Berg bist du nie allein, sagte Joki ć .
    Vida dachte nach.
    Du hast Recht, sagte er. Was treibt dich denn her?
    Ich bin eben da, sagte Joki ć .
    Ich meinte, wie hast du mich gefunden?
    Joki ć zuckte schweigend mit den Schultern. Dann verfiel auch Vida in Schweigen. Er dachte über den Mann nach, der ihm zu Hilfe gekommen war. Wer ist er, ein Hirte? Wäre er ein Hirte, dann würde er Schafe, Ziegen, einen Hund haben, etwas in der Art, das wäre mir doch nicht entgangen, ich bin ja nicht blind und taub. Was auch immer er ist, sein Nachname stammt aus dieser Gegend, und sehr wahrscheinlich war er im Krieg, und zwar auf der anderen Seite. Deshalb Vorsicht!
    Es ist kein Geheimnis, dass die Menschen aus dieser Gegend verroht sind. Die Bukovica, das einstige Dreiländereck zwischen dem Osmanischen Reich, der österreichisch-ungarischen Monarchie und der venezianischen Republik, unfruchtbar, eine vertrocknete, felsige Hochebene, die den Menschen nie ein bequemes Leben geboten hat. Das, was das Land nicht hergab, raubten sie sich von anderen zusammen, häufig von den nächstgelegenen Nachbarn.
    Die Straßenräuberei der Hajduken war hier Normalität, hatte ein Mitkämpfer, der in der Bukovica geboren war, Vida einmal erklärt. Am Abend hast du deine Herde noch, und morgens dann nicht mehr. So lief das hier.
    Dieses Brauchtum hat sich bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gehalten. Am Abend hast du noch ein Haus und eine Familie, am Morgen nicht mehr. So läuft das hier.
    Zur selben Zeit fragte sich Joki ć , was Vida in den Berg geführt hatte. Er beobachtete ihn, seitdem dieser vor einigen Tagen plötzlich aufgekreuzt war. Anfangs hatte er gedacht, dass er einer von denen sei, die die italienischen Wilddiebe hierherbringen. Aber die kommen in Jeeps, und er war zu Fuß gekommen, mit einem Rucksack. Er war auch kein Bergsteiger, hier gibt es keine Wanderwege und Hütten, hier gibt es viele Minenfelder, so dass nur selten Bergwanderer kommen, und auch wenn sie kommen, bewegen sie sich immer in Gruppen und halten sich nur auf den Straßen auf. Joki ć mochte weder Jäger noch Bergsteiger. Sie bringen nur Unruhe. Sie machen Lärm, ballern herum und lassen ihren Müll zurück.
    Ich habe Durst, hörte er Vida sagen.
    Er sah ihn an. Was für ein merkwürdiger Typ. Den ganzen lieben Tag lang irrt er müßig herum. Am meisten überraschte Joki ć , dass Vida wusste, dass es hier Wasser gibt und dass er sogar wusste, wo man danach suchen musste. Unsere Steinbrunnen sind nicht einmal in den Spezialkarten der Militärs eingezeichnet, und er hat sie trotzdem gefunden. Aber er stammt nicht aus dieser Gegend, solche Nachnamen kommen hier nicht vor, und er spricht auch nicht wie wir.
    Ich werde dich in mein Haus bringen, sagte er, und dann sehen wir, was wir tun können.
    Ich kann auch zu meinem Zelt.
    Mein Haus ist näher.
    Zum Teufel, dachte Vida, er weiß, wo mein Zelt ist, und ich habe nichts von ihm bemerkt. Er richtete sich auf, achtete darauf, dass er nicht seinen verstauchten Fuß belastete, und warf sich den Rucksack über.
    Ich kann schon alleine, sagte er peinlich berührt, als Joki ć sich herabbeugte, um ihn auf den Rücken zu nehmen.
    Nur wenn du kriechen willst, sagte der.
    Er packte Vida auf seinen Rücken, richtete sich auf, wobei er sich auf den Stil der Axt stützte, und mit überraschend leichten Schritten machte er sich auf den Weg.

Viertes Kapitel
    Ein Traum – Pension »Zu den drei Raben« – Die Unendlichkeit liegt gleich um die Ecke – Läuft die Hummel auf Josip herum oder Josip auf der Hummel? – Teehaus Hanshan – Der
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