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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
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nicht. Und den Salat hat unser Küchenchef heute aus nicht mehr ganz frischen Blättern der Financial Times hergerichtet. Wir wissen, dass Ihnen ein Salat aus den Blättern von Kapitalismus und Freiheit lieber wäre, aber dieses Buch gibt es leider nicht mehr, das einzige Exemplar, das wir hatten, haben Sie schon aufgefressen. Als Dessert gibt es wie üblich nichts. Zufrieden?
    Milinovi ć antwortete nicht. Er spricht nicht mehr, er fühlt nicht mehr, er versucht es nicht einmal mehr, er vegetiert nur noch dahin. Er kann nicht einschätzen, wann er entführt wurde, vor zwei Monaten, vor sechs Monaten, vor einem Jahr. Er misst die Zeit nur an seinen Herzschlägen; sein Herz bleibt manchmal stehen, und es scheint ihm, als würde kein weiterer Schlag mehr folgen. Er spürt dann Erleichterung, beinahe so etwas wie Hoffnung.
    Meistens liegt er in seine Lumpen gehüllt da und horcht. Er hört Geräusche aus der Nachbarschaft. Autos, das Bellen von Hunden, Lärm, das Fluchen und Lachen von spielenden Kindern, Züge, Schläge auf Metall, Geräusche, die er am Anfang nicht zuordnen konnte, in denen er aber das Quietschen der Wasserpumpe, Holzhacken und Teppichklopfen erkannt haben will. Als er diese Geräusche zuordnete, begriff er, dass er sich außerhalb der Mauer befindet.
    Da starb er zum ersten Mal.
    Solange er glaubte, dass er sich innerhalb der Mauer befindet, hatte er Hoffnung. Sie werden mich finden, so glaubte er, wenn sie sich nur die Aufnahmen aller Überwachungskameras anschauen. Er wusste, dass jede Ecke in der Holding durch Kameras überwacht wurde, und je mehr Tage vergingen, desto mehr wuchs seine Wut auf die Polizei, die die Aufnahmen offensichtlich noch nicht gesichtet hatte. Man hatte ihn vor dem Restaurant in dem Geschäftskomplex in der Branimir-Straße aufgegriffen, vor den Augen von zehn trägen Sicherheitskräften, so erinnerte er sich voller Bitternis. Sie waren nicht länger als fünfzehn Minuten gefahren. Er wurde mit dem Gesicht auf dem Boden zwischen die Sitze geworfen und mit einer Plane zugedeckt. Fünfzehn schäbige Minuten, er schüttelte sich vor Wut. All dieses Leid und das Elend seiner Lage, die Erniedrigung, die er zu erdulden hatte, all das, was ihm widerfuhr, war in diesen fünfzehn Minuten enthalten, und die haben immer noch nicht die Aufnahmen gesichtet und ihre Schlüsse daraus gezogen. Er würde dafür sorgen, dass irgendein Kopf rollt, sobald er das hier hinter sich haben würde. Oh, wie er dafür sorgen würde.
    Und dann erkannte er das Quietschen der Wasserpumpe im Hof.
    Anschließend hatte er nächtelang gehört, wie sich in ihm die Lawinen loslösten und niederstürzten, wie es in seiner Brust krachte und donnerte, und wenn sich all das gelegt hatte, krümmte er sich auf seiner Liege zusammen und fing an zu weinen. Aber er weint nicht mehr. Er spürt nicht einmal mehr Angst. Gründe für seine Angst hatte er anfangs im Überschuss, und er hatte sich lange gefürchtet. Am meisten Angst hatte er vor der Begegnung mit diesem jungen Mann, der brutal und kalt war und der ihm allerlei Dinge an den Kopf warf.
    Dir ist wohl klar, dass du hier nicht lebend rauskommen wirst, hatte er ihm gesagt, nachdem man ihn in dieses Loch gesteckt hatte. Wir werden dich töten, das heißt, ich werde dich töten, und vorher werde ich dich schmoren lassen, damit du ordentlich ins Schwitzen kommst. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie lange. Wahrscheinlich bis es mir langweilig wird. Aber immer, wenn du mich in der Tür sehen wirst, sollst du wissen, dass es das Letzte sein könnte, was du siehst.
    Am ersten Tag hatte Gärtner einen Teller Sand vor Milinovi ć gestellt.
    Iss!
    Milinovi ć starrte auf den Teller.
    Iss!
    Das?!
    Irgendwelche Probleme damit? Ist der Teller nicht hübsch genug? Er ist aus Olivenholz. Und schau dir bloß mal den Löffel an, aus Bambus, alles erstklassig und eco-friendly.
    Milinovi ć stotterte etwas darüber, dass Sand nicht essbar sei.
    Essbar, sagte Gärtner, willst du etwas Essbares?
    Milinovi ć nickte mit dem Kopf, er zierte sich.
    Das geht schon, sagte Gärtner, kein Problem, aber was gibst du mir dafür?
    Gestern habt ihr mir meinen Geldbeutel abgenommen, sagte Milinovi ć .
    Gärtner holte einen Geldbeutel aus seiner Jackentasche und zeigte ihn ihm.
    Ist das hier dein Geldbeutel?
    Milinovi ć nickte.
    Gärtner nahm ein paar Banknoten aus dem Geldbeutel, warf sie auf den Boden, nur eine Banknote von zwanzig Euro behielt er in der Hand.
    Welchen Wert hat das hier?
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