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Der Attentaeter von Brooklyn

Der Attentaeter von Brooklyn

Titel: Der Attentaeter von Brooklyn
Autoren: Matt Beynon Rees
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wohnen und für nichts und wieder nichts Rüben anbauen wollen? Oder an einer Wüstenpiste in Syrien in der Hitze sitzen, um ein paar Dosen Orangensaft für zehn Cent zu verkaufen? In dieser Woche habe ich gesehen, wie die Menschen in New York mit den Schwierigkeiten des Lebens kämpfen. Sie kämpfen für Ziele, die von zweifelhaftem Wert sein mögen – den Wohlstand, der ihnen ein größeres Haus verschafft, ein glänzenderes Auto oder mehr häuslichen Luxus. Aber zumindest haben sie Ziele und die Chance, sie auch zu erreichen. Wir Araber sind ziellos. Wir wandern wie unsere Vorväter durch die Wüste, suchen Wasser und warten auf irgendeinen Fanatiker, der kommt, um uns zu versklaven.«
    Omar Jussuf machte eine Pause. Farben tanzten vor seinen Augen. Wieder und wieder hörte er den Knall von Oberst Chatibs Revolver. Dann merkte er, dass es sein Puls war, der ihm in den Ohren dröhnte. Er hielt sich am Pult fest. Als er nach dem Wasserglas griff, ließ der ägyptische Vorsitzende seinen Hammer fallen und erklärte erleichtert die Sitzung für beendet. Der Vorsitzende stieß seinen Assistenten an, der sofort zu Omar Jussuf ging, ihm gratulierend die Hand schüttelte und ihn vom Mikrofon zu den Stufen drängte.
    »Fabelhaft, Abu Ramis.« Magnus Wallender umfasste mit beiden Händen Omar Jussufs Hände, als er vom Podium herunterstieg.
    »Sie sind offenbar der Einzige, der so denkt. Ich fühle mich nicht sehr gut. Mir ist etwas schwindelig.«
    »Ich hole Ihnen noch etwas Wasser.« Magnus eilte zum Saalrand.
    Abdel Hadi näherte sich mit einem komisch gemeinten Grinsen. »Ich dachte schon, Sie würden sich gleich in die Luft sprengen, Ustas «, sagte er. »Das war ja eine Selbstmordrede.«
    »Heute hat es keinen Grund zum Selbstmord gegeben.« In seinem Kopf hörte Omar Jussuf wieder Chatibs Revolver. »Es war ein Tag für Hinrichtungen.«
    »Sie meinen dieses Tier, das versucht hat, den Präsidenten zu erschießen?«
    »Er wollte ihn nicht erschießen.«
    »Er war ein Selbstmordattentäter. Er wusste, dass er sterben würde, aber er wollte den Präsidenten mit in den Tod reißen.«
    Omar Jussuf richtete sich wütend auf. »Er wurde kaltblütig getötet.«
    »Unsinn. Chatib hat ihn erschossen, als er auf den Präsidenten anlegte. Das Selbstmordattentat eines Tieres, nicht eines menschlichen Wesens.«
    »Kein Tier würde den eigenen Tod suchen. Ein Tier hofft nicht auf Erhöhung durch den Tod. Es ist unsere Zivilisation, die die widerliche Bahn zum Selbstmordattentat ebnet. Unsere Suche nach Sinn, der höher als die bloße Existenz ist, nach einem Leben nach dem Tod. Das ist die ultimative Leistung unserer schrecklichen Zivilisation.«
    Magnus kam mit einem Glas Wasser zurück.
    Abdel Hadi drohte Omar Jussuf mit dem Finger. »Für einen Lehrer, Ustas , scheinen Sie Probleme damit zu haben, eine Lektion zu lernen.«
    »Ich bin Palästinenser. Wenn ich aus meinen Fehlern lernen würde, könnte ich bald keine Fehler mehr machen, und dann müsste ich meine Nationalität ändern.« Omar Jussuf trank etwas Wasser. »Welche Lektion denn?«
    »Selbstmord ist die eigentliche Grundlage unserer Politik.«
    »Sie vergessen den Mord.«
    »So oder so finden wir offenbar immer neue Wege, uns selbst zu zerstören.«
    »So neu sind die Wege gar nicht«, sagte Omar Jussuf. Er dachte an den Unterricht in mittelalterlicher Geschichte, der Nisar dazu animiert hatte, seinen alten Freund zu enthaupten.
    »Die Ermordung des Präsidenten durch einen anderen Palästinenser wäre hier aber doch wohl etwas Neues gewesen, oder nicht?«, sagte Abdel Hadi. »Viele Palästinenser sind während der Siebziger- und Achtzigerjahre in Europa und der arabischen Welt durch rivalisierende Fraktionen getötet worden, aber ich glaube, noch nie in New York.«
    Omar Jussuf dachte an Nisars Vater. »Einen gab es doch. Ein Schriftsteller namens Fajes Jado.«
    »Wer hat Ihnen denn das erzählt? War das Ihr alter Freund, der Polizeichef von Bethlehem?«
    Omar Jussuf Kopf war wieder klar, und seine Augen hefteten sich auf Abdel Hadis Gesicht.
    »Ich sehe, dass der ehemalige PLO-Kämpfer in Erinnerungen geschwelgt hat«, sagte Abdel Hadi. »Wenn er doch nur seinen Job auch heute so gut erledigt hätte.«
    Omar Jussufs Gedanken überschlugen sich. Während der Achtzigerjahre war Nisars Vater der einzige palästinensische Würdenträger, der in New York ermordet wurde. Was hat Chamis Sejdan gesagt? Es sei schwierig gewesen, einen Anschlag in New York durchzuführen, aber
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