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Der Attentaeter von Brooklyn

Der Attentaeter von Brooklyn

Titel: Der Attentaeter von Brooklyn
Autoren: Matt Beynon Rees
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er beobachtete, wie sich die Frau mit ihren Besorgungen den Block entlangschleppte, spürte er, wie seine weißen Haarsträhnen, die er sich über den kahlen Schädel zu kämmen pflegte, vom rauen Wind zersaust wurden.
    Vor einer Tür neben einer Boutique, die traditionelle bestickte Gewänder aus palästinensischen Dörfern verkaufte und auf Arabisch annoncierte, dass es sich um das Geschäft eines gewissen Abdelrahim handelte, überprüfte Omar Jussuf die Adresse ein weiteres Mal. Dann schob er sich durch die billige schwarze Tür und stieg die schmuddelige Treppe zur Wohnung seines Sohnes empor.
    Der Flur am Ende der Treppe war dunkel und still. Omar Jussuf hielt inne, rang nach Atem und gewöhnte seine Augen an das matte Licht, das vom Erdgeschoss hochschimmerte. Auf der Avenue fuhr ein Bus vorbei, und ein Auto hupte kurz. In einer der Wohnungen wurde gekocht. Er atmete das rauchige Aroma von Auberginen ein, überlagert vom dichten, fettigen Geruch nach Lamm, und identifizierte das Gericht als Ma’aluba . Niemand verstand es so gut wie seine Frau Marjam, Fleisch und Auberginen so langsam zu garen, bis die Düfte aus dem Topf aufstiegen und sich mit dem Reis mischten. Wieder spürte er das Gefühl der Isolation, das ihn überkommen hatte, als auf der fremden Straße jene ersten arabischen Worte erklungen waren, als wäre die Zunge, die schmeckte und sprach, der natürliche Sitz der Einsamkeit. Er straffte sich. Er erinnerte sich daran, dass sein Sohn, den er seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte und den er liebte, ihn in einem dieser Zimmer erwartete, und wieder empfand er etwas von der Vorfreude, die er gespürt hatte, als er aus der U-Bahn gekommen war. Er strich sich den grauen Schnauzbart glatt, lächelte munter, um sich zu vergewissern, dass die Kälte draußen seine Gesichtszüge nicht eingefroren hatte, und schlurfte über den schmalen, klebrigen Streifen roten Linoleums auf die Eingangstür von Wohnung Nummer 2A zu.
    Sie stand offen.
    Omar Jussuf blieb stehen. Ein fingerbreiter Streifen eisengrauen Lichts fiel durch die Tür auf den Flur. Er wusste nicht viel über Brooklyn, aber er wusste, dass es keine Gegend war, in der man Türen unverschlossen, erst recht nicht offen stehen ließ. Er atmete leise und lauschte. Wieder hupte ein Auto auf der Straße. In der Wohnung war es still. Er klopfte zweimal und wartete.
    »Ala!«, rief er. »Ala, mein Sohn. Hier ist Papa.«
    Über der Nummer war ein Papierstreifen an die Tür geklebt. Darauf standen in flüssiger arabischer Schrift die Worte: Schloss der Assassinen . Omar Jussufs Lippen verzogen sich zu einem nervösen Lächeln. Nisar hatte immer eine gute Handschrift , dachte er. Das ist ein netter Scherz .
    Mitten in der Tür bemerkte er einen Knopf. Als er darauf drückte, erklang dumpf eine Klingel, aber der Druck seines Fingers ließ auch die Tür lautlos aufschwingen. Er betrat das Wohnzimmer im Apartment seines Sohnes.
    Noch einmal rief er Alas Namen und fügte die Namen seiner Mitbewohner hinzu. »Raschid, Nisar? Seid gegrüßt. Abu Ramis ist da.«
    Das Zimmer war schäbig, mit einem durchgesessenen Sofa und drei Essstühlen möbliert; an einem fehlte die Plastiklehne. An der hinteren Wand hing ein billiger gelber Gebetsteppich, in den das Bild der Kaaba , des schwarzen Steins im Herzen der großen Moschee in Mekka, eingewebt war. Daneben klebte eine aus einer Zeitschrift gerissene Seite an der Wand. Sie zeigte ein Foto des Felsendoms in Jerusalem. Auf einem niedrigen Tisch neben der Tür stand ein aus Streichhölzern gefertigtes Modell des gleichen Schreins, so groß wie ein Fußball, grellgelb und türkis bemalt. Die Art von Kunstwerken, die unsere Jungs in israelischen Gefängnissen basteln , dachte Omar Jussuf.
    Mit einem Unbehagen, das sich aus Fremdheit und Angst speiste, durchquerte er das Zimmer und roch den schweren, an zu Hause erinnernden Essigduft von Fule, der aus der winzigen Küche drang. Er warf einen Blick hinein, bemerkte auf dem Herd einen klebrigen Topf, auf dessen Boden sich noch ein paar braune Kleckser Favabohnenmus befanden. Er hielt die Hand über den Topf und spürte Restwärme. Unter einem Magneten, der für eine moslemische Gemeindezeitung warb, klemmte an der Kühlschranktür ein Blatt Papier. Es war eine Fotokopie der Gebetszeiten in einer Moschee namens Masjid al-Alamut .
    Omar Jussuf runzelte die Augenbrauen. Alamut , dachte er. Das echte Schloss der Assassinen . Die Jungs haben meinen Geschichtsunterricht nicht
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