Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Attentaeter von Brooklyn

Der Attentaeter von Brooklyn

Titel: Der Attentaeter von Brooklyn
Autoren: Matt Beynon Rees
Vom Netzwerk:
des Schuljahres hatte Omar Jussuf in seiner Klasse zu aufmerksameren Zwölfjährigen gesprochen.
    »Wir haben in dieser Woche die politischen Erklärungen aller arabischen Länder zum Thema der Palästinenser gehört. Als Bewohner des Flüchtlingslagers Dehaischa bin ich aufgefordert worden, zu Ihnen über die Realität des Lebens in Palästina zu sprechen.« In seinem eigenen Kopf klang Omar Jussufs Stimme dünn, aber als er sie nach kurzer Verzögerung durch die Lautsprecher hörte, wirkte sie kräftiger. Er legte die Handflächen aufs Rednerpult, damit man nicht sehen konnte, dass sie zitterten. »Lassen Sie mich mit dem beginnen, was Sie bereits wissen – die Selbstmordbomben; die Kämpfe mit israelischen Soldaten; die Namen der Fraktionen, Hamas, PLO, PFLP, DFLP –, dies alles ist nur der Hintergrund. Die wahre Geschichte ist der Duft von Kardamom aus den Säcken vor einem Gewürzladen in der Kasbah. Sie ist das Lachen kleiner Schulmädchen in blau-weiß gestreiften Kitteln, die nach einem Tag in einer überfüllten Schule nach Hause gehen. Sie ist das Geräusch der Drechselbank in einem Raum in Bethlehem, wo Männer Olivenholzperlen für die Rosenkränze, die man an die Touristen verkauft, herstellen. Sie ist das Leben, das übrig bleibt, wenn die Politik beiseitegefegt wird wie der Schmutz, den ein streunender Hund auf der Straße hinterlässt. Erlauben Sie mir, die Rhetorik der vergangenen drei Tage wegzuspülen und Ihnen das Palästina vorzustellen, das ich kenne.«
    Abdel Hadi schüttelte verächtlich den Kopf. Der syrische Delegierte stand auf, zog eine Zigarette aus der Tasche und bedeutete seinem libanesischen Kollegen, ihm an den Rand des Saales zu folgen. Magnus Wallander lächelte aufmunternd.
    Omar Jussuf warf einen Blick in den Saal. Ihm wurde klar, dass er die Selbstgefälligkeit der Diplomaten, die da vor ihm saßen, unbedingt ankratzen wollte. »Sie fragen sich, wie diese Menschen, die Ihrer Ansicht nach Opfer sind und deren Leben voller Verzweiflung ist, morgens aufstehen. Vielleicht werden Menschen neben ihnen getötet, vielleicht werden Häuser zerstört oder Verwandte ohne Grund monatelang inhaftiert. Aber sie stehen dennoch morgens auf, und sie arbeiten und essen und lachen, und dann gehen sie wieder schlafen. Sie hier wissen nicht, wie sie weiterleben, weil Sie nicht wissen, was in ihren Köpfen vorgeht. Sie hier kennen nur die politischen Klischees, die Stereotypen. Diese Menschen verbringen ihre Tage nicht damit, sich nach einem unabhängigen Staat zu sehnen – sie wissen nämlich, dass ihre Politik zu korrupt und zerstritten ist, um das erreichen zu können. Sie sind auch nicht alle bereit, für diesen Kampf ihre Kinder zu opfern. Es mag Ihnen schwerfallen, das zu verstehen, aber was die normalen Palästinenser wollen und wofür sie Tag für Tag kämpfen, ist genau das, was den meisten Ihrer Bürger in den arabischen Ländern versagt ist: Freiheit und Wohlstand.«
    Der libysche Delegierte zog den Finger aus der Nase und schlenkerte ihn ärgerlich. Der Syrer kam vom Saalrand zurück und ließ seine Zigarette fallen. Der Libanese, der ihm folgte, trat die Kippe auf dem Teppich aus. In der Befürchtung, dass auch diese Rede ein Schwindel sei, schauten die Amerikaner zu den Dolmetscherkabinen.
    »Wie können Sie, die arabischen Länder, den Palästinensern eine Lösung diktieren, wenn Sie doch selbst unter vielen dieser Probleme leiden? In Wirklichkeit profitieren Sie, die herrschende Klasse, vom Mangel an Demokratie und der ungleichen Verteilung des Reichtums. Würde man die israelische Besatzung beenden, wären die Palästinenser der Freiheit und einer funktionierenden Wirtschaft näher als die meisten Ihrer Völker.«
    »Sie sollten sich schämen!«, rief der Syrer.
    Einer der ägyptischen Delegierten sprang auf und schrie: »Kollaborateur!« Sein Kollege zog ihn wieder auf den Sitz und lächelte den Amerikanern affektiert zu.
    Omar Jussuf schlug mit den Händen aufs Pult. »Es sind nicht nur die Israelis – Sie sind es, die Palästina in Gewalt und Armut treiben. Sie, die Sie keine Verantwortung für das Leben Ihrer arabischen Brüder übernehmen.« Er hob die Hand, zeigte auf die amerikanische Delegation und redete auf Englisch weiter. »Und Sie, meine Herren aus den Vereinigten Staaten, wenn Sie diesen korrupten arabischen Regierungen Ihr Geld geben, halten Sie einmal inne und fragen sich: Würde ich dort als Bürger leben wollen? Würde ich im Jordantal in einer Schlammhütte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher