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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition)
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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ihren ersten Geburtstag. Doch sie bekamen nur ein Geschenk. Einen Teddy. Denn einen Teddy besaßen sie schon. Lukas. Ein Erbstück ihrer Mutter. Nacht für Nacht wechselten sich die beiden kleinen Jungs damit ab, wer von ihnen seinen flachgelegenen Bauch als Kopfkissen benutzen durfte.
    Leise trat Maya vor und legte den neuen Teddy behutsam in Max’ Arm, denn heute Nacht hatte Bob aufLukas’ Bauch geschlafen. Scheinbar teilnahmslos starrte der alte Teddy an die Zimmerdecke. Maya sah ihn lächelnd an. Sie hatten viel gemeinsam erlebt. Louis, ihr Mann, trat dicht hinter sie und legte seinen Arm um ihre Schulter.
    Lukas blinzelte. Er war alt. Er war fadenscheinig und sein Plüschfell war durchgerubbelt von all den Kindern, die schon auf seinem Bauch geschlafen hatten. Wie lang war es jetzt her? Neunundvierzig Jahre! Heiliges Schlappohr! Vor neunundvierzig Jahren war er von zwei jungen Eltern, genauso wie sein neuer plüschiger Kollege hier, feierlich in ein morgendliches Kinderzimmer getragen und dem schlafenden Geburtstagskind Birgit in den Arm gelegt worden. Fünfzehn Jahre hatte sie Nacht für Nacht ihren Kopf auf seinen Bauch gebettet, bis eines Nachts ein Junge namens Mike seinen Kopf auf seinen Bauch gebettet hatte. Birgits erster Freund! Und da Mike so gut auf Lukas Bauch geschlafen hatte und Birgit so verliebt in Mike war, hatte sie ihm Lukas einfach geschenkt.
    Mike hatte Lukas mit nach Hause genommen und nun Nacht für Nacht auf seinem Bauch geschlafen. Nur wenn Birgit Mike zu Hause in seinem Jugendzimmer besuchen kam, hatte sie ihren Kopf auf Lukas Bauch gelegt. Bis zu jenem Tag im Sommer vor zweiunddreißig Jahren, als Mike weinend ins Zimmer gekommen war. Er hatte den Teddy fest umklammert und in sein Fell die heißesten, bittersten Tränen geweint, die alle in seine Füllung gesickert waren. Geschüttelt von Entsetzen, hatte Mike Lukas anvertraut, was oben am Bergsee passiert war, als er mit Birgit und der Clique beim Baden gewesen war. Jens, ein Junge aus der Gruppe, hatte Birgit überredet, dass sie Gero, den Sohn vom Sägewerker, überreden sollte, das Gewehr seines Vaters mitzubringen. Als Belohnung durfte er mit der Clique zum Baden kommen. Niemand wusste genau, wie es passierte. Während sie an diesem heißen Sommertag durchs seichte Wasser sprangen und sich nass spritzten, löste sich ein Schuss, und Birgit lag blutend im Wasser. Jens hatte auf sie geschossen. Ob mit Absicht oder versehentlich? Wer wusste das schon? Jens drohte ihnen allen, sie zu töten, sollten sie ihm nicht helfen, Birgit in der Erde zu verscharren.
    Aus lauter Furcht taten sie, was er ihnen befahl. Sarah, Robert, Mike, Henry, Bella und Gero. Zwei Tage später brachte sich der zwölfjährige Gero um. Er ertrug die Last der Schuld nicht länger. Er hinterließ einen Abschiedsbrief an seinen Vater, den alten Sägewerker, in dem er seinen Selbstmord erklärte. Nur verriet er nicht, wer von den Jugendlichen zwei Tage zuvor auf Birgit geschossen hatte.
    Zwölf Jahre später wurde Lukas morgens von zwei stolzen Eltern, Mike und Bella, so, wie sein neuer Kollege jetzt, in ein Kinderzimmer getragen und in den Arm eines kleinen, schlafenden Mädchens namens Isabel gelegt. Sieben Jahre lang schlief sie Nacht für Nacht auf dem flachgedrückten Bauch von Lukas, bis sie eines Tages, mitten in der Turnstunde, verschwand. Zwei Tage später wurde Lukas vom weinenden Mike aus Isabels verwaistem Bett genommen und abends durch St. Golden getragen. Mike übergab Lukas durch den Türspalt an seinen alten Freund Henry aus Teenagertagen, der selbst Mitglied der Clique gewesen war. Und der nun auch eine Tochter in Isabels Alter hatte. Maya. Mike bat Henry, Isabel den Teddy zurückzugeben, sobald ihr Entführer sie wieder frei gelassen hatte. Er selbst wollte sich für seine Tochter opfern. Denn niemand traute sich, dem unerbittlichen Entführer im Hasenkostüm, der über Videobotschaften seine grausigen Bedingungen stellte, zu gestehen, dass es Jens gewesen war, der auf Birgit geschossen hatte. Denn eigentlich sollte ihm die Strafe gelten. Und doch kam Isabel nie zurück.
    Und so schlief Maya ab da Nacht für Nacht auf Lukas’ Bauch. Sie floh mit ihm und ihrem Vater in die Wälder hinauf. Sieben lange Jahre zogen sie durch die einsame Bergwelt, die ihnen an jedem Tag unerbittlich alles abverlangte. Bis sie– ohne Mayas Vater– gemeinsam nach St. Golden zurückkehrten. In der Hoffnung, gefahrlos in die Heimat zurückkehren zu können. Hier waren
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