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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition)
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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gesprochen.
    Sie war eine wache Späherin mit geschärften Sinnen, bereit, sich jederzeit bis zum Äußersten zu verteidigen. Wie das ging, hatte sie von ihrem Vater gelernt. Ständig hatte er damit gerechnet, dass die Widerwärtigen sie fanden. Und doch war Maya vor einigen Wochen in die bewaldeten Berge rund um St. Golden, in die Gefahrenzone, zurückgekehrt.
    Sie wollte endlich nach Hause.
    Sie richtete ihren Blick talwärts. Unten, am Fuß des Steilhangs, flimmerten die hellen Lichter ihres Heimatstädtchens. Aus den Schornsteinen der schmalen Fachwerkhäuser stieg weißer Rauch empor. Nur noch zwei Tage, dann würden die Bewohner, als Gespenster und Hexen verkleidet, durch die engen Kopfsteingassen zum Rathausplatz ziehen und dort ums Feuer tanzen. Nur noch zwei Tage, dann war Halloween.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals zogen sich ein paar besonders mutige Häuser den gewaltigen Schlossberg hinauf. Sie klammerten sich an den Untergrund, bis der zu felsig wurde und als grauschroffe Wand steil nach oben bis zum Waldessaum ragte. Dort stand das von gelblichen Scheinwerfern angestrahlte neugotische Schloss mit seinen beiden Furcht einflößenden Türmen. Es sah aus, als wäre es aus purem Gold.
    Und hier stand sie. Maya. Mit nach hinten gezogenen Schulterblättern, offener Brust. Hinter ihr atmete der schwarze Wald seinen eisigen Atem aus. Schneeflocken taumelten aus dem nächtlichen Himmel auf ihre Stirn und auf das verdorrte Gras. Ein totes Kaninchen hing kopfüber an ihrem Gürtel. Frisches Blut trocknete auf ihren Händen und den drahtigen Oberschenkeln, die vom Sommer noch leicht gebräunt waren. Sogar auf ihren Waden hatte das Töten rote Spuren hinterlassen. Unter ihren Sohlen fühlte sie das weiche Moos. Sie sah die Scheinwerfer der Autos, die durch die Unterführung auf den riesigen Parkplatz des 24-Stunden-S upermarkts fuhren, der außerhalb des Ortes lag.
    Am späten Abend standen dort nur noch wenige Wagen. Keiner der Bewohner hob seinen Blick die Felswand hinauf, sodass sie hier oben gefahrlos stehen konnte. Sie lebten dort unten in ihren warmen Häusern, zogen ihre Kinder groß und gingen zur Arbeit. Als sei nie etwas geschehen. Doch Maya kannte die Wahrheit. Die Wahrheit, die für alle, die da unten lebten, gefährlich werden konnte. Und genau diese Tatsac he m achte sie zum einsamsten Mädchen auf der ganzen Welt.
    Sie durfte nicht zurückkehren und doch zog die Stadt sie magisch an. Immer wieder hatte ihr Vater es ihr eingeschärft. » Zeig dich nicht! Die Widerwärtigen werden dich töten.«
    Maya trat einen Schritt vom Abgrund zurück. Ihr Herz klopfte. Mit einem Ruck drehte sie sich um. Vor ihr erhoben sich die Kiefern bis hinauf in den kalten Nachthimmel. Links von ihr hatten die Waldarbeiter gefällte Stämme zu einem gewaltigen Berg aufgeschichtet. Langsam ging sie auf das undurchdringliche Schwarz zu. Gähnend riss es sein Maul auf. Und mit einem einzigen Satz war sie in ihrem Reich verschwunden.

3 . LOUIS
    Louis stand im fensterlosen Kühlraum des 24-Stunden-Supermarkts und schluckte schon die zweite Ibuhexal-Tablette gegen den hämmernden Schmerz in seinem Kopf herunter. Nach Schulschluss hatte er mit den Jungs in der Billardkneipe am Rathausplatz seinen Geburtstag gefeiert und bei der Gelegenheit ein paar Bier zu viel getrunken. Man wurde schließlich nur einmal sechzehn.
    Sein Atem stand als Wolke in der eisigen Luft. Die gemauerten Wände des engen Kühlraums waren weiß gestrichen. Für ihn und die zehn Paletten Sprühsahne war gerade eben so Platz. Die Stahltür war fest verschlossen, damit die Kälte nicht entwich. Er konnte sich Spannenderes vorstellen, als sich hier den Hintern abzufrieren und falsche Etiketten von Sprühsahnedosen abzuknibbeln. Wenn diese Sache erledigt war, musste er raus in den » Verkaufsbereich« und Popcorntüten zählen, die zwischen den Chipsregalen in einer Art Gitterkäfig aufgehäuft lagen. Und das Ganze für sieben Euro fünfzig die Stunde. Aber was sollte er machen? Von seiner Mutter, die ihr Leben betrunken vor der Glotze verbrachte, bekam er nichts. Das bisschen, was sie mit Haare schneiden schwarz dazu verdiente, reichte gerade so, um ihnen beiden was zu essen zu kaufen.
    Louis fröstelte, obwohl er über dem Holzfällerhemd schon den dicken Kapuzensweater trug. Plus eine schwarze Wollmütze. In der Hosentasche vibrierte sein Handy. Endlich! Das war ihr Zeichen! Eilig klappte er den Stahlriegel zurück und zog die Metalltür auf.
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