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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod
Autoren: A Jonuleit
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Ich wiederholte meine Worte, aber sie sprach daraufhin noch immer nicht. Also schwieg auch ich und beobachtete die Pfauen, die sich um uns herum im Klinikpark tummelten und Räder schlugen. Das Sonnenlicht verliehihren Schwanzfedern einen matten Glanz und ließ ihr Gefieder wie einen kostbaren Renaissance-Stoff aussehen.
    Irgendwann stand Anouk auf. Sie war sehr bleich, der Wind fuhr ihr durchs Haar und sie sagte: »Ich glaube nicht, dass das gut ist.«
    »Warum denn nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ich sah sie an. Im Profil wirkten ihre Gesichtszüge starr.
    »Ich … In der Firma läuft doch alles … Herr Wenzlow …«
    »Darum geht es nicht.«
    Abrupt wandte sie sich mir zu, fasste mit beiden Händen mein Gesicht und sagte eindringlich: »Du bist gerade operiert worden, jetzt gib dir doch um Himmels willen Zeit!«
    »Zeit? Ich bin schon so lange von allem weg … Ich
muss
zurück.«
    »Aber warum so überstürzt? Wir müssen sowieso noch mal nach Garrapata zurück. Unsere Sachen …«
    »Ach was, das sind doch nur ein paar Bilder, die Staffelei und die Pinsel. Ich will sie nicht.«
    »Dann lassen wir sie da. Ich habe eine andere Idee. Wie wäre es, wenn wir nach Prag gingen? Prag in der Vorweihnachtszeit, das war doch immer …«
    Unvermittelt stand ich auf. Ich konnte nicht länger ruhig auf der Bank sitzen bleiben. Eilig marschierte ich in Richtung des künstlichen kleinen Sees, den sie auf dem Gelände der Klinik angelegt hatten. Anouk hatte Mühe, mit mir Schritt zu halten. Sie verfiel in einen leichten Trab.
    »Was ist denn in dich gefahren? War was in der Therapie? Hast du dich an etwas erinnert?«
    »Nein.«
    »Woher dann diese plötzliche Eile? Wir waren uns doch einig, dass …«
    »Ich muss es einfach wissen!« Ich war stehen geblieben.
    In einiger Entfernung von uns, auf der anderen Seite des Sees, spielten zwei Patientinnen Federball. Ein Pfleger begleitete einen Patienten zu einer Bank am Ufer und wickelte ihn in eine Decke.
    »Ich habe keine Ruhe mehr. Ich kann nicht länger in einem Traum leben. Auch wenn er noch so schön ist. Du und das Haus am Meer, das war wie aus einer anderen Welt. Aber das Leben bleibt nun mal nicht stehen …« Meine Stimme war immer lauter geworden, die beiden Frauen hatten die Schläger sinken lassen und sahen zu uns herüber.
    Anouk räusperte sich. »Es war … es
ist
aus dieser Welt! Es ist
unser
Leben … Ich finde …«
    »Ich habe immer mehr den Eindruck, dass du mich von zu Hause fernhalten willst!«, entfuhr es mir.
    »Aber Max, wie kannst du …«
    »Ja, als wolltest du verhindern, dass ich wieder arbeite, dass ich wieder mein altes Leben aufnehme!«
    Ich ereiferte mich, die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. Anouks Augen füllten sich langsam mit Tränen, und doch konnte ich nicht an mich halten.
    Da drehte sie sich einfach um und ließ mich stehen. Ich sah ihr nach, ihren geraden Rücken, wie sie ruhig und hoch erhobenen Hauptes davonging. Ihre gesamte Körperhaltung hatte etwas Vornehmes und gleichzeitig mühsam Beherrschtes. Die beiden Federballspielerinnen blickten wieder oder immer noch in meine Richtung, und plötzlich fühlte ich mich wie ein Idiot. Wie ein unbeherrschter Schwachkopf, der nichts Besseres zu tun hatte, als die Frau, die in den vergangenen zwei Jahren alles für ihn getan hatte, vor den Kopf zu stoßen. Mit völlig haltlosen Verdächtigungen.
    Eine Weile lang stand ich noch dort herum und sah ins Wasser. Dann wandte auch ich mich ab und lief los. Zuerstlangsam, dann immer schneller. Schließlich rannte ich, voller Angst, Anouk könnte schon gegangen sein, ohne dass ich Gelegenheit gehabt hätte, sie um Verzeihung zu bitten.
    Ich traf sie an meiner Zimmertür. Sie hatte ihre Tasche über der Schulter, ihren Mantel über dem Arm und blickte starr an mir vorbei. Ich streichelte sie vorsichtig. Sie ließ es geschehen, immer noch ohne mich anzusehen.
    »Es tut mir leid. Ich … Entschuldige.«
    Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Anouk war blass und angespannt. Unendlich traurig sah sie aus. Ich fühlte mich schäbig.
    »Anouk, ich habe überreagiert, ich war ungerecht und es tut mir leid. Ja, ich möchte mit dir nach Prag gehen. Und ich glaube, dass es wunderschön wird dort um diese Zeit.«
    Langsam wandte sie den Kopf. Sie sah mich lange an, mit Tränen in den Augen. Doch als sie sprach, klang ihre Stimme beherrscht: »Du musst einfach wieder unter Menschen, das ist es. Du musst hinaus und die Welt wiederfinden,
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