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Der amerikanische Buergerkrieg

Der amerikanische Buergerkrieg

Titel: Der amerikanische Buergerkrieg
Autoren: Michael Hochgeschwender
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allabendlich, was weiße Gewalt im Süden konkret bedeutete. Dies intensivierte die Solidarität mit den Schwarzen, führte aber ebenso dazu, der Sklavenfrage im 19. Jahrhundert in der Diskussion der Ursachen des Bürgerkriegs einen neuen Stellenwert zu verleihen. Von wissenschaftlicher Seite führte obendrein die Analyse totalitärer Lagersysteme, etwa der deutschen Konzentrationslager, dazu, die psychischen Folgen der Sklaverei neu und kritischer zu bewerten. Dadurch geriet die etablierte Paternalismusthese ins Wanken, ehe sie in den 1980er Jahren in kritischer Version von Eugene D. Genovese erneut in die Debatte geworfen wurde. Autoren wie Kenneth Stampp oder Stanley Elkins bemühten sich um eine Interpretation von Sklaverei und Bürgerkrieg, die von den Traumata der Opfer her argumentierte. Allerdings überbetonten sie, vor dem Hintergrund psychologischer Studien zum Bettelheim-Syndrom in deutschen Konzentrationslagern der 1940er Jahre, den Opferstatus und die Passivität der Sklaven bis zu ihrer Selbstidentifikation mit den Tätern. Demgegenüber verwiesen marxistische und kulturhistorischargumentierende Autoren eher auf die Widerständigkeit und die Fähigkeit der Sklaven, Elemente einer eigenen Kultur unter schwierigsten Ausgangsbedingungen zu bewahren. Für die Diskussion der Ursachen des Bürgerkriegs hatte diese Debatte über schwarze
agency
erhebliche Auswirkungen. Während die Frage nach der Verfassungsstruktur der USA und der Einzelstaatenrechte erheblich zurücktrat, rückte die Sklaverei unvermittelt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Seit den 1980er/1990er Jahren galt es als ausgemacht, daß der Bürgerkrieg primär um die Sklaverei geführt worden sei.
    Dieses apodiktische Urteil rief in extrem konservativen Kreisen Widerstand hervor. Zum einen trugen Forderungen aus radikalen Zirkeln der Bürgerrechtsbewegung nach Entschädigungszahlungen für die Sklaverei, die nun mehr und mehr als
black holocaust
interpretiert wurde, dazu bei, ganz im Sinne des überkommenen
lost cause
-Narrativs die Sklaverei als Ursache des Kriegs einfach zu leugnen. Insbesondere das
Neoconfederate Movement
tat sich hier geschichtsfälschend hervor. Andere Autoren, beispielsweise der neokonservative Immigrant Dinesh D’Souza, versuchten herauszuarbeiten, daß Entschädigungsforderungen schon deswegen absurd seien, weil es ja auch eine Minderheit farbiger Sklavenhalter gegeben habe. Sollten deren Nachfahren etwa auch entschädigt werden? Zum anderen machte sich ein gewisses Unbehagen an der stereotypen Opferrolle der Schwarzen beziehungsweise an der simplen Opfer-Täter-Dichotomie in der vorherrschenden, mitunter etwas banal moralisierenden Analyse bemerkbar. All diese Debatten um Opfercharakter, Entschädigungen und Leugnung der Rolle der Sklaverei beim Ausbruch des Bürgerkriegs waren letztlich genuiner Ausdruck der gesellschaftlichen Spannungen, welche die USA seit den Unruhen der 1960er Jahre heimgesucht hatten und die allgemein unter dem Stichwort der
culture wars
analysiert wurden. Sie verweisen aber ferner darauf, wie entscheidend der Bürgerkrieg, seine Erinnerung und die damit verknüpften Diskussionen für die Aushandlung amerikanischer nationaler Identität seit den 1870er Jahren waren und immer noch sind. Diese Erinnerung war zweifellos Konjunkturen unterworfen, welchedie jeweiligen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Interessenlagen der Nation recht genau widerspiegelten. Just diese Erkenntnis aber macht es sinnvoll, den amerikanischen Bürgerkrieg im Interesse einer komplexeren Analyse seiner Ursachen und seiner Folgen nicht ausschließlich als Krieg um der Sklavenfrage willen zu interpretieren, sondern zudem in einem globalen Kontext als Nationsbildungs- oder Nationswerdungskrieg. Insofern der Bürgerkrieg Nationsbildungskrieg war, diente er als Initialzündung für Prozesse, die weit jenseits der Sklavereidebatte lagen, aber immer mit ihr verwoben blieben. Dabei waren es weniger der Krieg und sein Verlauf, welche auf längere Sicht konstitutiv für die neue Sicht der Union als Nation wurden, als zum einen strukturelle Veränderungen, wie etwa die weiteren Verdichtungen in Massenproduktion, Massenkonsum, Transportwesen, Kommunikation, Massenmedien, Werbung, Populärkultur etc. Zum zweiten waren es die geschilderten wechselhaften Konjunkturen der Erinnerung an den Bürgerkrieg, die aus den USA eine Nation formten, nicht der Krieg selbst. In der angelsächsischen Forschung hat der suggestive Satz,
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