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Der amerikanische Buergerkrieg

Der amerikanische Buergerkrieg

Titel: Der amerikanische Buergerkrieg
Autoren: Michael Hochgeschwender
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Kriege würden Staaten machen («wars make states»), zwar viele Anhänger gefunden. Gleichwohl kann man auf regionaler und lokaler Ebene gut zeigen, daß er, wenn nicht falsch, so doch unvollständig ist. Nicht im Krieg, sondern im Frieden, im Funktionieren der Institutionen und Erinnerungskulturen, werden Staaten, Nationen und ihre Identitäten in dialektischen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen «gemacht».
    Nun wird man ohnehin vorsichtig sein müssen, die USA vorschnell als einen fertigen Nationalstaat aufzufassen. Es existierten weiterhin gewichtige retardierende Momente, insbesondere die frühmoderne, vornationale, föderative Verfassungsstruktur, die hochgradig ineffiziente staatliche Bürokratie auf nationaler Ebene sowie der imperiale Zuschnitt des
frontier
-Denkens, das sich gerade nicht auf eine starre, als natürlich wahrgenommene nationalstaatliche Grenze bezieht, sondern von andauernder Bewegung ausgeht und mit territorialer oder weltanschaulicher Expansion verknüpft ist. So wurden neben nationalen zugleich imperiale und lokalistische Tendenzen befördert. Dieseinhärente Widersprüchlichkeit wurde vom Bürgerkrieg nur relativiert, nie aber beseitigt. Umgekehrt haben sämtliche weiteren Kriege mit der Ausbildung der
imperial presidency
und das kollektive Gedenken an diese Kriege den nationalen Status der USA befördert. Mindestens genauso wichtig aber war die Ausbildung eines nationalen bürokratischen Herrschaftsapparates im
New Deal
der 1930er und der
great society
der 1960er Jahre, den beiden wichtigsten sozialpolitischen Reformschüben des 20. Jahrhunderts. Hier wirkte sozialstrukturell wie erinnerungspolitisch und kulturell die normative Faktizität des sich real entwickelnden Nationalstaates. War der Bürgerkrieg also ein Nationsbildungskrieg? Oder war er doch primär ein Krieg zur Befreiung der Sklaven? Angesichts der Ambivalenzen der Nationalstaatlichkeit in den USA und der Begründungen, die 1861 für den Bürgerkrieg gegeben wurden, wird die Antwort uneindeutig ausfallen, wenn man die diversen Rückschläge in der Emanzipation der Schwarzen zwischen der Rekonstruktionsepoche und der vom Süden als zweite Rekonstruktion interpretierten Bürgerrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts in Rechnung stellt. Gewiß drehte sich der Konflikt von 1861 bis 1865 auch um humanitäre Fragen, um den Wert individueller Freiheit und den Glauben an menschliche Gleichheit. Aber löste er all diese Probleme wirklich? Wohl eher nicht, sieht man einmal vom bloßen Erhalt der Union als zentralem Kriegsgrund ab. Alles andere war Stückwerk. Selbst die bürgerlich-kapitalistische Umformung des besiegten Südens blieb in den Kinderschuhen stecken. Wohl wurden die Territorien der einstigen Konföderation intensiv in den nationalen und globalen Handel einbezogen, allerdings nicht gleichberechtigt. Das postfeudale
sharecropping
-System verhinderte sowohl das Entstehen eines agrarindustriellen Produktionsregimes, wie es sich im Mittelwesten und Westen der USA etabliert hatte, als auch eine urban-industrielle Ordnung mit variablen, frei verfügbaren Lohnarbeitermassen, wie in den neuenglischen Industriegebieten. Was blieb, war eine ruinöse Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Zentren der USA und dem globalisierten Welthandel mit außerordentlich beschränkten eigenen Handlungsoptionen. Im Grunde scheiterte der Nordenan der Inkonsequenz, mit welcher er seine Kriegsziele – den einen und unteilbaren Nationalstaat, das liberal-kapitalistische Wirtschaftssystem und die Befreiung der Sklaven zugunsten eines auf Lohnarbeit basierenden Arbeitsregimes mitsamt den damit verknüpften humanitären Anliegen – umsetzte. Umgekehrt war der Süden wiederum zu konsequent im Festhalten an den Aporien eines Staates, der keiner sein wollte und auf blanker Inhumanität gründete. Daher scheiterte er am Versuch, eine plausible konservativ-partikularistische Alternative zu generieren. So unvermeidbar der Bürgerkrieg von seinen tieferen Ursachen her war, so uneindeutig war er in seinen Auswirkungen. Um ein Diktum Eric Foners leicht modifiziert aufzugreifen, waren der Bürgerkrieg und die Rekonstruktion Amerikas unvollendete bürgerliche Revolutionen. Wenn dem aber so war, bleibt nur die nüchterne und ernüchternde Erkenntnis, daß am Ende des Krieges die Frage nach dem Sinn des massenhaften Leidens weitgehend unbeantwortet bleiben mußte. Die Antworten waren Sache des Friedens, der dann folgte.

Literaturhinweise
    David W.
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