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Der amerikanische Buergerkrieg

Der amerikanische Buergerkrieg

Titel: Der amerikanische Buergerkrieg
Autoren: Michael Hochgeschwender
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Preis. Wirtschaftliche Stagnation, politische Korruption, gesellschaftliche Gewaltexzesse, Rassentrennung und industrielle Rückständigkeit sorgten dafür, daß die Gebiete der einstigen Konföderation um 1900 und bis weit in die 1970er Jahre hinein zum Armenhaus der USA mutierten. Die Armutsquote lag dort regelmäßig selbst unter Weißen bei 30 Prozent. Der Süden war ab 1880 zu einer Binnenkolonie der expandierenden, hochimperialistischen, weltweit führenden Industrienation USA geworden. Man lieferte natürliche Ressourcen und Arbeitskräfte, war aber praktisch nicht an den damit produzierten Gewinnen beteiligt. Wie auf der Ebene der liberal-humanitären Reformen blieb die Durchsetzung des Kapitalismus im besiegten Süden vorerst Stückwerk. Dies hatte dann auch Auswirkungen auf den Prozeß der Durchsetzung des nationalstaatlichen Paradigmas, der noch über Jahrzehnte stecken blieb. Von einer zweiten, bürgerlichen Revolution im Süden, wie manche marxistische Autoren sie behauptet haben, kann man daher kaum sprechen. Einzig auf dem Gebiet der nationalen Politik waren die Demokraten aus dem Süden wirklich aktiv und sogar überrepräsentiert, da ihre Wiederwahl angesichts fehlender Alternativen sicher war. Infolge des Anciennitätsprinzips im Kongreß, wonach der am längsten amtierende Senator oder Repräsentant in einem Ausschuß dessen Vorsitz innehatte unddamit auch über die Tagesordnung befand, sicherten sich die Südstaatendemokraten über fast ein Jahrhundert in Washington einflußreiche Positionen, um das System des weißen Südens dauerhaft zu stabilisieren.

V. Am Ende des Tages:
Die Bürgerkriegserinnerung als Mythos
    Erinnerung ist, dies haben neurologische und kulturhistorische Erinnerungsforschungen hinreichend dargelegt, eine aktive, vergegenwärtigende und deutende, aber auch vergessende und verdrängende Repräsentation eines Geschehens. Dies gilt für Individuen und Kollektive gleichermaßen. Nur so kann Erinnerung zum Mythos werden, das heißt zur sinnstiftenden Erzählung oder zum Ritual, welche die Identität sozialer Kollektive maßgeblich mitbilden. Mythos ist hier in keiner Weise als Gegenbegriff zum rationalen Logos gedacht, sondern als notwendiges Element in der Selbstsicht von Individuen und Kollektiven. Die Frage ist nicht, ob es mythische Erinnerung gibt, sondern wie sie strukturiert und konstruiert ist, was erinnert wird und welche Funktion dieser Erinnerung sozial und kulturell zukommt.
    Besonders wirkmächtig war die Konstruktion mythischer Erinnerung im weißen Süden. Dies hing einerseits mit der kohärenteren Sozialstruktur der Erinnerungsträger dort zusammen, da die parteipolitische Rivalität, die im Norden formgebend war, hier fehlte. Eine Ausnahme von der Regel bildete die Erinnerung republikanischer Kleinbauern in den
Apalachees
, eine andere diejenigen der Schwarzen. Das kollektive Gedächtnis dieser Gruppe ist lange vernachlässigt worden, dabei gedachten sie verständlicherweise des Krieges und seiner Folgen ganz anders, als dies in der dominanten weißen Kultur geschah. Bei ihnen stand das einschneidende Erlebnis der Befreiung und der Flucht im Vordergrund. Vielfach wurden diese Vorgänge dann in ein religiöses Narrativ eingebettet, das von Anleihen an dasExoduserlebnis des Volkes Israel unter der Führung Gottes und seines Propheten Moses zehrte. Die Rolle von Moses, wahlweise auch des Messias Jesus von Nazareth, fiel meist Abraham Lincoln zu, der sich ansonsten im Süden erst einmal keiner sonderlichen Gunst erfreuen durfte. Auch die Gewalt des Ku Klux Klan kam in diesen Erzählungen vor, wurde aber mit der Hoffnung auf eine bessere Welt im Jenseits und im Diesseits zusammengebracht. Immer wieder kamen, vor allem nach den 1880er Jahren, konkrete Exodusvisionen auf. Einzelne Prediger zogen durch das Land und forderten die Schwarzen auf, nach Norden zu ziehen, um sich der alltäglichen Gewalt und Unterdrückung zu entledigen. Sie stießen nur auf geringe Resonanz. Erst im Zusammenhang mit den industriellen Verschiebungen im Rahmen des Ersten Weltkrieges kam es ab 1916 zur großen Nordmigration von schwarzen Landarbeitern in die urbanen Industriezentren des Nordens. Ihre Erinnerungen an die Sklavenzeit, die Emanzipation und die nachfolgende erneute Unterdrückung nahmen sie mit und verarbeiteten sie beispielsweise künstlerisch in der New Yorker
Harlem Renaissance
, die allerdings auch von den ganz anders gearteten Erfahrungen und Erinnerungen von Schwarzen aus der
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