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Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
Autoren: Aufbau
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Ich versuchte, meinen Arm aus seinem Griff zu winden, aber er ließ mich nicht los. Der Piepton einer der Maschinen an seinem Bett wurde lauter.
    »Verzeih mir, Buck«, sagte er. »Ich muss abtreten. Schon sehr bald. Aber ich fürchte mich vorm Tod. Fürchte mich vor dem Gericht. Fürchte mich, in die Hölle geschickt zu werden wegen der schlimmen Dinge, die auf mein Konto gehen. Und diese Last kann ich nicht auch noch tragen. Sag mir, dass für dich alles okay ist.«
    Ich versuchte, den Arm aus der Umklammerung zu befreien. Diesmal mit etwas mehr Kraft. Ich musste weg. Mir war kotzübel. »Ich soll dir verzeihen? Du wusstest doch, was für ein Monster Ziegler war. Du hast miterlebt, was er unseren Jungs angetan hat. Mensch, du hast gesehen, was er mit mir gemacht hat. Alles, was ein Mensch letztlich besitzt, ist doch seine Integrität. Und du hast deine verkauft, Jim.«
    Ich riss meinen Arm jäh zurück, um endlich loszukommen, aber er ließ einfach nicht locker und sah mich dabei flehentlich an. Ich gab alle Anstrengungen auf und beugte mich stattdessen zu ihm. »Wenn es eine Hölle gibt, solltet ihr beide gemeinsam darin schmoren.«
    Das schien ihm nicht gefallen zu haben, denn sein ganzer Körper wurde plötzlich von Krämpfen geschüttelt, sein Rücken krümmte sich, und der Herzmonitor lärmte los. Zwei Ärzte und eine Schwester kamen angerannt, und durch die offene Tür konnte ich die tränenüberströmte Emily auf dem Korridor sehen.
    »Herzstillstand!«, rief einer der Ärzte, »Wir brauchen sofort einen Notfallwagen.«
    Der andere Arzt deutete auf mich. »Schafft ihn hier raus.«
    »Ich würde ja liebend gern gehen, Doktor, wenn er mich ließe.« Jim umklammerte noch immer mein Handgelenk.
    Aber der Arzt bearbeitete bereits Jims Brustkorb und drückte ihm die Beatmungsmaske auf den Mund. Die Schwester kam zu mir und löste seine verkrampften Finger von meinem Arm.Sie stieß mich aus dem Weg, als der Arzt Jim die Paddles des Defibrillators auf die Brust presste. Sein Körper bäumte sich auf. Der Arzt sah die Krankenschwester fragend an.
    »Reaktion?«, fragte er.
    »Nein.«
    Die Maschine jaulte weiter.
    »Ich versuch’s noch mal«, sagte der Arzt und drehte am Spannungsknopf des Defibrillators.
    »Okay.« Der Körper bäumte sich nochmals auf, aber die Linie auf dem Monitor zeigte inzwischen keinen Ausschlag mehr.
    Der andere Arzt widmete sich weiterhin der Reanimation mit Sauerstoff. Ich rieb mir das Handgelenk. Violette Druckstellen breiteten sich dort aus, wo Jim zugedrückt hatte. Vor ein paar Jahren hatte mein Arzt mir Plavix verordnet, ein Medikament zur Blutverdünnung. Es sollte mich vor einem Schlaganfall bewahren, aber durch das Zeug wurde ich druckempfindlich wie ein überreifer Pfirsich.
    Ich holte meine Packung Luckies hervor und knipste an meinem silbernen Dunhillfeuerzeug herum, das ich immer bei mir trage. Aber meine Hände zitterten so sehr, dass ich aus dem verdammten Ding keinen Funken schlug.
    »Sie dürfen hier drinnen nicht rauchen«, belehrte mich die Schwester.
    »Er sieht nicht so aus, als würde es ihm was ausmachen«, sagte ich und deutete auf Jim.
    »Ja, aber seinem Sauerstofftank würde es wahrscheinlich nicht gefallen, Mister«, sagte sie und scheuchte mich auf den Korridor. Die Glastür schloss sich mit einem Klicken hinter mir.
    Norris lehnte an der Wand, sein Gesicht war nur noch eine in sich zusammengefallene, verheulte Maske. Emily ging weinend auf und ab.
    Ich berührte ihren Arm.
    »Für ihn kannst du nichts mehr tun«, sagte ich. »Aber ich brauche jemanden, der mich nach Hause bringt.«

2
    Emily Wallace-Feely setzte mich zu Hause ab. Sie sah aus, als müsse sie dringend von jemandem in die Arme genommen werden. Es tat mir leid, dass ihr Vater soeben gestorben war, aber ganz gewiss würde ich diese Frau nicht berühren. Ihre Augen waren rot gerändert, und die Nase lief ihr noch immer. Sich eine Erkältung einzufangen, wäre unangenehm und gefährlich; jede Art Krankheit würde mich auf schnellstem Wege an den Ort zurückbringen, dem ich gerade erst entkommen war.
    Ich sprach ihr so aufrichtig mein Beileid aus, wie es mir aus größtmöglichem Abstand gelang. Ich war erleichtert, aus ihrem Auto steigen zu dürfen, und heilfroh, der sterilen Atmosphäre des Krankenhauses entronnen zu sein.
    Anfang März war Memphis morgens noch kühl und windig. Die Höchsttemperaturen schwankten ein paar Wochen lang um die zwanzig Grad, bevor der Tennessee-Sommer losbrach und für
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