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der Agentenschreck

der Agentenschreck

Titel: der Agentenschreck
Autoren: Dorothy Gilman
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Mrs. Pollifax nachdenklich. »Ich erwache in meiner Wohnung in New Brunswick, New Jersey. Ich habe ein Schlafzimmer, ein großes, sonniges Wohnzimmer und eine Küche mit Eßplatz. Die New York Times liegt vor meiner Tür, und ich lese sie beim Frühstück.« Wie unwirklich und entrückt ihr das alles erschien. »Jeden Mittwoch fahre ich den Bücherkarren durch das Krankenhaus. Es ist ein sehr ruhiges Leben«, gab sie zu. »Bis auf Freitag. Da habe ich meine Karatestunden. Und in jüngster Zeit habe ich daran gedacht, fliegen zu lernen.«
    Lächelnd sah er sie an. »Für Sie wäre das gut, sehr gut.«
    »Und ich habe an meiner Feuermauer einen nachtblühenden Säulenkaktus gezüchtet«, fügte sie beinahe schüchtern hinzu.
    »Das ist Ihnen wichtig«, sagte er ruhig. »Warum?«
    Sie zögerte. »Weil ich seit kurzem das Gefühl habe, wir rasen einer Katastrophe entgegen, die wir von langer Hand selbst angezettelt haben. Es gibt so schrecklich viele Menschen auf der Welt und so viel Zerstörungswut. Anfangs habe ich mich gewundert, als ich hörte, daß ein nachtblühender Säulenkaktus nur ein einziges Mal im Jahr blüht und das nur um Mitternacht. Aber ist das nicht sehr weise von ihm?«
    »Und hat er geblüht?«
    Sie nickte. »Zwanzig Minuten vor Mitternacht, eine Woche, ehe ich hierher gereist bin.«
    »Dann gibt es also doch noch immer Geheimnisse auf der Welt«, sagte er erleichtert.
    »Und wie sehen Ihre Mittwoche aus? Aber das darf ich wohl nicht fragen. Was wir führen, ist kein Zwiegespräch, wie?«
    Er seufzte schwer. »Ich wollte, es wäre es, aber leider. Selbst Ihnen gegenüber darf ich nicht reden. Das ist traurig, weil ich Sie sehr lieb gewonnen habe, Amerikanski.«
    »Es ist wie ein Rechenexempel«, sagte sie leise. »Ich habe durch Ihre Bekanntschaft sehr viel gewonnen, und wenn ich abreise — falls ich dieses Glück habe«, ergänzte sie trocken, »werde ich es mit dem Gefühl tun, einen Verlust erlitten zu haben.«
    »Bei diesem Alter!« sagte Tsanko nachdenklich und lachte leise vor sich hin. »Aber was hat Zuneigung mit Jahren zu tun!
    Ich habe eine lange Zeit ohne jedes Gefühl gelebt. Meine erste Frau und meine kleine Tochter starben 1928 nein, sie wurden von den Orims an die Wand gestellt. Ermordet.
    Dreitausend Menschen wurden in jener Nacht getötet oder unter dem Verdacht, Kommunisten zu sein, verhaftet. Meine Tochter hatte hohes Fieber, wissen Sie, und trotz des abendlichen Ausgehverbots hüllte Adriana unser Kind in Decken ein und ging auf die Suche nach einem Arzt.« Er schüttelte den Kopf.
    »Mein Sohn blieb am Leben. Er ist jetzt vierzig. Es war ein Wahnsinn. Wir waren damals noch gar keine Kommunisten. Aber es hat mich dazu gemacht.«
    »Es muß furchtbar für Sie gewesen sein.«
    »Das war es. Später habe ich wieder geheiratet, als mein Sohn Vasil schon erwachsen war.
    1945 war das. Ich war politisch sehr engagiert und meine Frau ebenfalls.« Er zuckte die Achseln. »Die Heirat war ein Irrtum. Wir sind seit vielen Jahren geschieden. Sie arbeitet als Ingenieur in Varna. Das bulgarische Klima eignet sich leider nicht für die Liebe. Aber für Pfirsiche«, sagte er humorvoll und zog einen aus seiner Tasche. »Bitte? Für Sie.«
    Sie aßen Pfirsiche, bis Georgi an die Tür kam und sagte: »Da seid ihr — es ist Zeit zu Vorbereitungen für Panchevsky-Institut.«
    »Plötzlich geht alles viel zu schnell«, meinte Tsanko.
    »Morgen früh habe ich eine Verabredung, der ich nicht ausweichen kann. Ich werde Sie nicht mehr sehen. Es ist alles gesagt worden, bis auf eines — bitte, sterben Sie nicht heute nacht, Amerikanski.«
    »Sie auch nicht, Tsanko.« Stumm standen sie beisammen.
    »Äußerlich stammen wir aus verschiedenen Kulturkreisen«, sagte er langsam. »Aber in unserem Inneren sind wir verwandt.
    Ach, wären Sie doch in Bulgarien geboren worden, Amerikanski! Wir könnten die Welt verändern! Daran werden Sie denken, eh?«
    »Jeden Mittwoch«, versprach Mrs. Pollifax ernst.
    Er lachte. »Ja, jeden Mittwoch.« In aller Form neigte er sich zu ihr und küßte sie auf beide Wangen.

21
    Still und dunkel lag die Umgebung des Panchevsky-Instituts da. Nur die Anstalt selbst war grellweiß erleuchtet. Fünf Minuten vor drei saß Mrs. Pollifax in Assen Radevs Lastwagen, der mit schnatternden Gänsen beladen war. Sie trug ein weites Baumwollkleid, einen billigen Pullover und ein Kopftuch. An ihre Schulter war ein Zettel mit unleserlichen Schriftzeichen geheftet, die bedeuteten: ICH BIN STUMM.
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