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Der 50-50 Killer

Der 50-50 Killer

Titel: Der 50-50 Killer
Autoren: Steve Mosby
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des drängenden Impulses, ins Haus zu eilen, dachte ich an Andrew Dyson und zwang mich, es erst zu betrachten und mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen, bevor ich irgendetwas tat. Der Schnee in der Einfahrt war unberührt. Der auf dem Weg durch den Garten nicht. Verwischte Fußspuren führten zur Haustür, die, leicht angelehnt, die einzige dunkle Fläche war.
    Dann sah ich es und erstarrte. Eines der Fenster im oberen Stockwerk hatte einen Sprung. Auf dem Glas war eine verschmierte Blutspur. Der Anblick trieb mich vorwärts, bevor ich ihn richtig begreifen konnte.
    Los.
    Rasch ging ich durch den Garten und überprüfte alle Ecken. Im Schnee um den Weg herum waren keine Fußspuren, jede Menge Platz zwischen mir und den Hecken. Ich behielt die Einfahrt rechts von mir im Auge, falls er an der Seite herauskäme.
    Als ich den Weg halb hinuntergegangen war, hörte ich es. Ein Kind weinte.
    Meine Nackenhaare sträubten sich, und ich blieb ungefähr zehn Meter vom Haus entfernt abrupt stehen.
    Karli Reardon.
    Ich packte den Griff des Schlagstocks, so dass der größte Teil an meinem linken Unterarm lag, hielt ihn vor mich und beugte schützend den Arm. Das rechte Handgelenk legte ich über das linke und hielt das Pfefferspray nahe am Körper. Tief durchatmen.
    Das Kind klang ganz nah, als sei es im Haus. Das Weinen kam von einer Stelle hinter der Haustür, die im Schatten lag und die ich nicht einsehen konnte.
    »Kommen Sie raus!«
    Die Dunkelheit regte sich ein wenig, und als Antwort trat er heraus, so dass ich ihn sehen konnte.
    Barnes. Er hielt Karli Reardon fest an sich gedrückt, in der anderen Hand ein Messer.
    Das Herz schlug mir bis zum Hals.
    »Polizei«, rief ich. »Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Doch er kam auf die Veranda heraus und dann auf den Weg, wo ich ihn sehen konnte. Er trug Jeans und die Teufelsmaske, sonst nichts. Sämtliche Verbände waren abgerissen, und ich sah das ganze Ausmaß seines Wahnsinns, die schrecklichen Verletzungen, die er sich selbst beigebracht hatte, um uns hinters Licht zu führen. Schnitt- und Brandwunden überall am Oberkörper, blaue Flecken, die gebrochenen Finger der einen Hand, die gekrümmt das Baby hielt. Li hatte gesagt, auch die Sohlen seiner Füße seien verbrannt, doch er ging, als fühlte er überhaupt keinen Schmerz.
    Im blassen Licht der Morgendämmerung sah er aus wie ein Leichnam, trotz allem lebendig. Überall war er mit Blut befleckt. Die Hand mit dem Messer war verdeckt. Ich wollte wieder zum Fenster hochsehen; ein schreckliches Gefühl der Verzweiflung drohte mich zu überwältigen. Konzentrier dich.
    Er machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich nicht zurück.
    »Legen Sie das Kind hin, Barnes.«
    Die Maske war abstoßend – rote Haut und verfilztes schwarzes Haar –, aber ich rief mir ins Gedächtnis, dass es nur eine Maske war. Er war nur ein Mensch. Er mochte dazu fähig sein, den Schmerz zu beherrschen, den er spüren musste, aber das Pfefferspray würde ihn erledigen. Es würde seiner Lunge nur das absolute Minimum an Luft lassen, das zum Überleben notwendig ist, und würde seine Augen blenden. Und er würde am Boden liegen, wo ich ihn haben wollte. Mein Gott, ich wollte es tun, aber er wusste, dass ich das Spray auf keinen Fall einsetzen konnte, solange er das Kind hielt.
    »Legen Sie sie hin und bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Aber er griff mit der Hand, die das Messer hielt, nach oben, zog sich die Maske über den Kopf und nahm sie ab. Ich starrte das zerstörte Gesicht darunter an und sah nicht einmal, wie die Maske hinter ihm im Schnee landete. Sein wirkliches Gesicht war hundertmal schlimmer als die Maske. Die linke Seite war vollkommen entstellt, die Nähte waren tief in die geschwollene, straffe Haut eingebettet. Ein Auge fehlte, an seiner Stelle befand sich nur noch eine Masse wunden Gewebes mit noch mehr Nähten, deren Fäden wie dicke, borstige Haare hochstanden. Er hatte sich selbst bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Mann, mit dem ich im Krankenhaus gesprochen hatte, trug all seine Wunden jetzt offen zur Schau.
    Unter den Verwundungen war sein Gesichtsausdruck von einer kaum unterdrückten Wut beherrscht. Und von Hass. Ich bemühte mich, ihm zu erwidern, als er mich wütend anfauchte.
    »Waffen runter und aus dem Weg.«
    Die Sirenen waren jetzt viel näher.
    Ich schüttelte den Kopf. »Daraus wird nichts, Colin, und das wissen Sie auch.«
    »So heiße ich nicht.«
    Das Kind wehrte sich und stemmte sich mit seinen Händchen von ihm
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