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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel
Autoren: Michael Borlik
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nichts weiter als ein lästiger Quälgeist.« Sie schnaubte. »Ich verstehe nicht, warum sie überhaupt an dir interessiert ist. Was ist so Besonderes an dir?«
    »Was … was meinst du?«, fragte Amy erschrocken. »Wer ist an mir interessiert?«
    »Warum kannst du nicht wie deine Mutter sein?«, fuhr Tante Hester vorwurfsvoll fort, anstatt ihr zu antworten. »Sie war so begabt. Was alles aus ihr hätte werden können. Stattdessen heiratete sie deinen Vater und wurde mit einem Kind wie dir gestraft.«
    Amys Magen krampfte sich zusammen. Wie konnte Tante Hester nur so etwas sagen? Ihre Mutter hatte sie geliebt. Ganz bestimmt. Amy blickte ihrer Tante in die Augen und erkannte in der gleichen Sekunde, dass das längst nicht alles war. Dass sie gerade erst angefangen hatte, sich in Rage zu reden.
    »Ich begreife es nicht!«, schrie Tante Hester los und zitterte dabei vor Wut am ganzen Körper. »Womit hat unsere Familie bloß eine Missgeburt wie dich verdient?« Ihre Nasenflügel blähten sich auf. »Ein Mensch, der nicht zaubern kann. Pah, das ist wider die Natur! Und wie willst du überhaupt in dieser Welt bestehen, wenn du nicht einmal die einfachsten Zauber beherrschst? Bestimmt kannst du nicht einmal alleine dein Zimmer aufräumen, was? Von mir brauchst du jedenfalls nicht zu erwarten, dass ich dir hinterherputze.«
    »Das ist auch gar nicht nötig. Ich komme sehr gut alleine zurecht. Und wenn ich saubermachen will, nehme ich einen Besen. Ganz einfach.« Heiße Tränen rannen Amy über die Wangen. »Einen Besen«, wiederholte sie schluchzend. »Und ich bin keine Missgeburt!« Sie drehte sich um und stürmte davon.
    Amy lief durch viele Zimmer voll edler Möbel und kostbarer Teppiche. An die meisten Räume hatte sie nicht die geringste Erinnerung. Wo war nur der Ausgang? Dieses Haus war so riesig und verwinkelt wie ein Labyrinth. Vielleicht hatte Tante Hester es auch verhext, um Amy für immer darin einzusperren. Da stand sie plötzlich vor einer Tür, hinter der eine düstere Kellertreppe lag. Ein modriger Geruch kroch ihr entgegen, als würde etwas schon viel zu lange dort unten vor sich hin faulen. Angewidert warf Amy die Tür zu und öffnete eine andere. In diesem Zimmer befand sich nichts weiter als ein Piano.
    Flirrendes Sonnenlicht fiel durch eine Terrassentür, die hinaus in einen weitläufigen Garten führte. Dieser Garten war so wunderschön, dass er Amy für einen Moment alles andere vergessen ließ. Wie in Trance öffnete sie die Terrassentür und trat hinaus. Die Luft war erfüllt vom Summen vieler Insekten. Amy schnupperte. Es roch nach Vanille, Rosen und Lavendel. Und nach etwas, für das sie keinen Namen wusste, das aber ein so friedliches Gefühl in ihr auslöste, wie man es nur hat, kurz nachdem man aus einem glücklichen Traum erwacht ist.
    In dem Garten wuchsen Pflanzen, wie Amy sie noch nie zuvor gesehen hatte. Da war ein gewaltiger Strauch, um einiges größer als sie selber, der über und über mit blassblauen Blüten besetzt war. Als der Wind hindurchwehte, sah er wie eine sprudelnde Fontäne aus. Amy fuhr sich über die Stirn. Sie schwitzte. In diesem Garten war es viel wärmer als in der übrigen Stadt. Das konnte nur bedeuten, dass er verzaubert war. Vermutlich hatte Tante Hester das getan, damit sie nicht zu viel Arbeit mit ihm hatte. Denn jemand wie sie machte sich bestimmt nicht gerne die Finger schmutzig.
    Plötzlich hörte Amy leises Kichern.
    Sie ging um den Blütenstrauch herum und entdeckte einen Teich mit goldgelben und roten Seerosen. Eine Bank stand an seinem Ufer. Amy ging hin und setzte sich. Alles hier war so friedlich, so schön, so …
    Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Wie konnte sie nur diesen Garten bestaunen, während ihr Vater in einer dunklen, feuchten Zelle hockte, in der es bestimmt von Ratten, Spinnen und Kakerlaken wimmelte?
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte eine Stimme.
    Hastig rieb sich Amy über die Augen, dann wandte sie sich um. Vor ihr stand ein Junge mit strohblondem Haar und lächelte sie schüchtern an.

Finn
    »Ich bin Finn«, sagte er und setzte sich zu Amy auf die Bank. Er konnte kaum älter als sie selber sein. »Und wer bist du?«
    »Amy, äh, Amy Tallquist.« Was machte dieser Finn im Garten ihrer Tante?
    »Bist du zu Besuch hier?«
    Amy schüttelte zuerst den Kopf, dann nickte sie.
    Finn zog verwundert eine Braue hoch. »Was denn jetzt? Ja oder nein?«
    »Ich werde nur so lange hier wohnen, bis mein Vater wieder zurückkommt.« Und das wird
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