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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel
Autoren: Michael Borlik
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er!, fügte sie in Gedanken hinzu.
    »Dann ist er also verreist?«
    »Er ist …« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. Warum ließ sie es zu, dass dieser fremde Junge sie ausfragte? »Was tust du überhaupt hier?«
    »Ich arbeite für Meister Chang«, sagte er wie selbstverständlich. »Er ist der beste Gärtner der Welt. Ich bin so froh, dass er mich als Lehrling genommen hat. Das ist eine Ehre. Ja, wirklich!« Seine hellbraunen, fast schon bernsteinfarbenen Augen leuchteten vor Stolz. »Meister Chang hat diesen Garten ganz alleine angelegt. Unglaublich, nicht wahr?«
    Amy sah ihn verwirrt an. »Ich dachte, hier wohnt niemand außer meiner Tante.«
    »Wir wohnen auch nicht im Haus«, sagte Finn. »Am Ende des Gartens versteckt sich ein kleiner Schuppen. Das ist unser Zuhause.« Er neigte den Kopf zur Seite und musterte Amy neugierig. »Warum hast du vorhin geweint?«
    Amy wich seinem Blick aus und riss überrascht die Augen auf. Zwischen den Seerosen im Teich tummelten sich winzige Nixen mit Fischschwänzen und kleine blaue Wassermänner mit Dreizacken, die sie zuvor nicht bemerkt hatte. Gebannt beobachtete Amy, wie ein Wassermann einer Nixe etwas ins Ohr flüsterte, woraufhin diese hinter vorgehaltener Hand zu kichern begann. Es war das gleiche Kichern, das sie hierhergelockt hatte.
    »Du magst wohl nicht darüber reden, was?«, hakte Finn nach und erinnerte Amy daran, dass er ihr eine Frage gestellt hatte.
    Tatsächlich hatte sie keine Lust dazu, und darum musste sie ihn irgendwie auf andere Gedanken bringen. »Hast du schon die Wasserleute gesehen? Woher kommen …?«
    »Meister Chang hat sie mitgebracht. Weiß auch nicht, woher er sie hat«, unterbrach er sie. »Was ist jetzt?«
    Dieser Finn war wirklich hartnäckig. »Ich kann nicht«, sagte Amy leise und starrte auf ihre zitternden Hände, mit denen sie kleine Fussel von ihrem Kleid zupfte.
    »Du hast es ja nicht einmal versucht«, sagte Finn.
    Amy warf ihm einen säuerlichen Blick zu. Bei ihrem Vater half das immer, wenn er etwas tat, das ihr nicht gefiel. Finn dagegen wirkte nicht im Mindesten eingeschüchtert. »Ich bin ein guter Zuhörer«, fuhr er munter fort. »Meister Chang sagt das auch immer und der hat wirklich viel zu erzählen.«
    Ich geb’s auf, dachte Amy. Finn würde nicht eher Ruhe geben, bis er alles wusste. Nur: Konnte sie ihm trauen? Vielleicht war er ja ein Spion ihrer Tante. Aber selber wenn es so wäre, was konnte sie ihm schon erzählen, das Tante Hester nicht über sie wusste? »Du bist eine Nervensäge.«
    Finn grinste. »Ich weiß.«
    Amy holte tief Luft und kämpfte gegen die Tränen an, die wieder in ihr aufzusteigen drohten. »Es ist wegen meinem Vater. Er wurde heute Morgen verhaftet.« Mit einem Mal sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus und wollten nicht eher versiegen, bis sie die ganze Geschichte erzählt hatte. Finn hörte geduldig und mit ernster Miene zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen. Als Amy endlich fertig war, fühlte sie sich sogar ein ganz kleines bisschen besser.
    »Also deshalb bist du so traurig.«
    »Und weil ich mich mit meiner Tante gestritten habe«, sagte Amy. »Sie hasst mich!«
    Finns Mund klappte auf, aber kein Wort kam ihm über die Lippen. Zum ersten Mal schien er sprachlos.
    »Es … es ist, na ja, weil ich nicht zaubern kann. Nicht mal ein winziges bisschen. Ich bin eben zu nichts nutze.« Amy zuckte hilflos die Schultern.
    »Das meinst du nicht ernst! Jeder kann doch zaubern!«
    »Ich aber nicht.« Sie funkelte ihn an. »Dabei habe ich alles versucht. Immer wieder habe ich geübt und geübt, doch es ist nie etwas passiert. Als ich noch klein war, hat es meine Eltern fast zur Verzweiflung getrieben, dass ich nicht mal die allereinfachsten Zaubertricks lernte. Und sie haben sich so bemüht.« Amy wandte den Blick ab, weil ihr erneut die Tränen kamen und fuhr kaum hörbar fort: »Kannst du dir vorstellen, wie schlimm es für mich war, zusehen zu müssen, wie all die anderen Kinder in meinen Augen kleine Wunder vollbrachten, während mir klar wurde, dass ich anders war als sie, dass ich das alles niemals würde tun können? Und dass das der Grund war, warum ihre Eltern sie von mir fernhielten?«
    Finn berührte sie zaghaft an der Schulter. »Tut mir leid, das habe ich nicht gewusst.«
    »Wie solltest du denn auch?«, murmelte Amy. Sie schluckte. »Meine Tante hat eben doch recht. Ich bin eine Missgeburt, jawohl.«
    Finn prustete los.
    Amy zuckte zusammen und lief puterrot an. Selber die
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