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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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extravaganten Gäste sind nur poppiger geworden, aber ansonsten — im Westen nichts Neues!
    Und heute, wie damals, 1901, gibt es dienstbeflissene Hoteldirektoren.
    Was macht es schon, wenn eine um viele Ecken mit dem Zaren verwandte Prinzessin zugleich aufs äußerste exzentrisch, kapriziös, herrisch und zügellos ist, wenn sie sich nur ebenso reich und verschwenderisch gebärdet! Aber was zu viel ist, ist zu viel. Diesmal verlangt Prinzessin Tovarov das Unmögliche! Sie will alle Salons, Empfangshallen, Restaurants und Bars des Hauses mieten. Nur für eine Nacht. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, eine rauschende Silvesternacht zu feiern. Nun, dagegen wäre nichts einzuwenden, aber sie beabsichtigt, einen Ball ganz besonderer Art zu veranstalten... Sie nennt ihn Ball der Halb-Welt !
    Natürlich kann Prinzessin Tovarov das ganze Hotel samt Personal mieten, wenn ihr danach zumute ist — und wenn sie es zahlt. Das ist kein Problem. Das Problem ist die Halb-Welt.
    Zu Beginn des Jahrhunderts war die Menschheit — mehr als heute — in streng voneinander geschiedene Kategorien unterteilt, besonders in den mondänen Badeorten und in den noblen Hotels rund um die Erde. Auf der einen Seite befanden sich die Leute von Welt, also die Gesellschaft schlechthin. Das war der Adel und einige steinreiche Bürger, vorausgesetzt, sie waren leidlich kultiviert und verstanden es, auch Pfirsiche und Orangen mit Messer und Gabel zu verzehren. Auf der anderen Seite gedeihte die Unterwelt. Indiskutabel! Aber irgendwo dazwischen fand man eine laute, bunte Mischung von Gigolos und liederlichen Frauenzimmern, betuchten Parvenüs und Schmarotzern aller Art — das war die Halb-Welt. Halb deshalb, weil dieses fragwürdige Völkchen beinahe überall geduldet wurde — eben so halb-halb. Es ging nicht anders. Ohne die Halb-Welt langweilte sich die Welt nämlich zu Tode. Aber nie, niemals und unter gar keinen Umständen wurden DIESE Leute zu einem Ball der Gesellschaft eingeladen! Ein Ball war eine ernste Sache, damit spaßte man nicht!
    Die Tovarov mag auch noch so wunderlich sein — eine Tugend kann man ihr nicht absprechen: sie ist ehrlich! Und die Scheinheiligkeit ihrer blaublütigen Standesgenossen findet sie schlicht und einfach degoutant! Es muß endlich etwas unternommen werden. Die Halb-Welt muß sozusagen brüderlich umarmt werden, die Gesellschaft muß von ihrem hohen Roß heruntersteigen zum Volk — und zwar im Rahmen einer unvergeßlichen Ballnacht, zu Silvester. Welch eine großartige Idee, wie edelmütig! Doch leider völlig unmöglich!
    Der Hoteldirektor hat bisher jeder noch so verrückten Laune der Prinzessin nachgegeben, aber das geht entschieden zu weit. Er bleibt hart.
    »Der Ball der Halbwelt mag überall stattfinden, Euere Hoheit, hier nicht!«
    Alle seine Kollegen an der Côte d’Azur schütteln genauso den Kopf:
    »Wir bedauern! Undenkbar... leider ganz unmöglich!« Unmöglich! Dieses Wort hört die Prinzessin zum ersten Mal in ihrem Leben, und es gefällt ihr ganz und gar nicht. Es geht ihr jetzt nicht mehr um das Wohl der Halb-Welt, es kommt ihr darauf an, ihre Macht zu beweisen. Man wird schon sehen, was es für Folgen hat, wenn man einer Prinzessin des Zarenhauses einen Korb gibt!
    Nach langer Suche findet die Tovarov endlich genau das, was sie braucht: eine ausgediente Privatvilla! Der Eigentümer hat sie schon im letzten Sommer zum Verkauf angeboten, aber er verlangt einen so horrenden Preis dafür, daß die Interessenten gleich davonlaufen — und so steht die Villa des Mimosas seit Monaten leer. Die Prinzessin läßt den Immobilienmakler zu sich kommen und erklärt mit einem Ton, der keine Widerrede duldet: »Ich miete die Villa für einen Tag — nur für einen Tag! Wieviel?«
    »Euere Hoheit, ich bedauere, aber ich fürchte...«
    »Sie haben gar nichts zu befürchten, lieber Mann! Sie bekommen von mir eine persönliche Einladung zum Ball der Halbwelt!«
    »Oh, nein, danke, sehr freundlich von Ihnen. Ich fürchte...«
    »Tun Sie sonst noch etwas, außer sich zu fürchten? Wieviel?«
    »Die Villa ist nicht zu vermieten. Ich habe den Auftrag, sie zu verkaufen. Und im Augenblick kann ich den Besitzer nicht erreichen. Er ist in Amerika.«
    »Um so besser, mein Freund, dann braucht er ja nichts davon zu erfahren! Wieviel? Der Preis spielt keine Rolle! Und ich zahle bar, jetzt gleich!«
    Halbwegs überrumpelt schlägt der Makler eine so hohe Mietsumme vor, daß er sicher ist: Selbst die irrsinnigste
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