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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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Prinzessin mit dem monegassischen Adelsgeschlecht verwandt ist, aber sie behauptet es — das genügt! Und offenbar genügt es auch dem Fürsten, denn sie geht ständig im Palast ein und aus.
    Grund genug, sie mit Glacehandschuhen anzufassen: Sie will jeden Tag neue Blumenbeete haben — nun gut, die bekommt sie! Sie zahlt auch dafür, und letzten Endes profitiert das Hotel davon.
    Das wäre die Sache mit den Blumen. Aber das ist nicht alles!
    Prinzessin Tovarov geht nie ohne ihr Streichquartett auf Reisen — die vier Musiker begleiten sie auf Schritt und Tritt, für den Fall, daß sie plötzlich unter einem Anfall von Nostalgie leiden sollte. Dann muß russische Musik gespielt werden, auch im Hotelrestaurant, versteht sich! Und wie der Zufall will, plagt die Prinzessin das Heimweh ausgerechnet jeden Abend vor dem Diner.
    Vier Monate lang bekommen somit die Gäste aus aller Welt zu Kaviar und Champagner gratis russische Musik serviert.
    Die festangestellten Musiker des Hotelorchesters dürfen oder müssen eben während des Abendessens Pause machen und ihren russischen Kollegen den Vortritt lassen. Sie haben nichts dagegen einzuwenden, denn es ist nicht gerade befriedigend, für stimmungsvolle Tafelmusik zu sorgen, während die Leute schwatzen und schmatzen! Aus der Sicht — oder sagen wir — in den Ohren von Musikern schmatzen alle Menschen!
    Der Direktor hat sich auch mit den russischen Geigern abgefunden. Er ist der Prinzessin sogar dankbar, denn die Hotelgäste, die ja für gewöhnlich nicht so lange bleiben, preisen allerorten die tolle Stimmung, die in seinem Hotel beim Abendessen herrscht.
    Die Sache mit der Musik wäre also geregelt — wenn, ja wenn die Musikliebhaberin nicht auch die französischen Weine so übermäßig liebte! Denn, wenn sie zuviel davon getrunken hat, wird sie traurig. Und wenn sie traurig ist, braucht sie zur Erheiterung sentimentale russische Melodien. Wenn sie aber diese Melodien hört, dann versinkt sie bald in tiefe Schwermut und kommt auf Selbstmordgedanken. Sie kennt die Gefahr, die Abend für Abend auf sie lauert! Deshalb verlangt sie zu ihrer eigenen Sicherheit Leibwächter, die sie vor sich selber schützen sollen. Spätestens ab dem vierten Gang nehmen also zwei Hotelpagen links und rechts neben ihrem Tisch im Restaurant Aufstellung — mit dem Auftrag, die Prinzessin im Bedarfsfall daran zu hindern, aus dem Fenster zu springen. Wer für die Tovarov Schutzengel spielen will — jeder darf das nur ein einziges Mal — muß allerdings ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nur junge Männer bis zu fünfundzwanzig Jahren kommen in Frage. Dringend erwünscht sind außerdem blaue Augen und blondes Haar, und das, obwohl die Jünglinge ihre Mission vollständig kostümiert anzutreten haben: in Livree mit weißen Seidenstrümpfen und mit gepuderter Perücke.
    Nur so kann sich Prinzessin Tovarov ihrer Melancholie wahrhaft genußvoll hingeben.
    Nach dieser allabendlichen Verabreichung slawisch-musikalischer Schwermut ist die Prinzessin regelmäßig so verzweifelt, daß nur noch eines hilft, sie von ihren Selbstmordgedanken abzubringen: ihr ganz spezieller Zaubertrank — eine Mischung aus Champagner Brut mit reichlich Zucker, zwei Gläschen Cognac und einem Schuß Veilchen-Likör. Einfach köstlich! Davon leert sie fünf bis zehn Gläser — je nach dem Grad ihrer Verzweiflung — wirft dann die leere Karaffe in den Spiegel hinter der Bar und fühlt sich endlich wieder so glücklich wie nie zuvor! Die Leibwächter dürfen sich zurückziehen, bei der Verfassung ist kein Selbstmord mehr zu befürchten! Meistens verabschiedet sich die Prinzessin bald, nachdem die Pagen gegangen sind, und bis zum nächsten Morgen hat das restliche Personal dann seine Ruhe!
    Erst am Morgen — das heißt kurz vor dem Mittagessen — geht das Theater wieder los. »Frühstück für die Tovarov! Sechs Glas Portwein! Sechs rohe Eier!« Der stärkende Heiltrank muß auf einem goldenen Tablett angerichtet und der Prinzessin ans Bett serviert werden — selbstverständlich von täglich wechselnden Etagenkellnern!
    Und das bedeutet: Alle halbwegs gut aussehenden, soweit manierlichen, blonden und blauäugigen jungen Männer, die damals zwischen San Remo und Cannes zuhause waren, hatten wenigstens einmal in irgendeiner Form das Vergnügen, der Prinzessin zu Diensten zu sein. Glauben Sie ja nicht, das sei heute anders. Die Direktoren der Spitzenhotels in aller Welt können ein Lied davon singen — die
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