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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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Ministerium wird peinlich genau unter die Lupe genommen.
    Am dritten Untersuchungstag fehlen morgens wieder Dokumente!
    Bujard sitzt in seiner Kammer vor einem Aktenberg, der von den beauftragten Stellen zusammengetragen wurde. Draußen im Gang stehen die Verdächtigen Schlange. »Der nächste bitte!«
    Ein junger Mann, klein, mickrig, mit einer Adlernase mitten in einem zusammengeschrumpften Gesicht — häßlich wie die Nacht — setzt sich vor den smarten Offizier. Er ist Redakteur der Presseabteilung des Ministeriums und bezieht ein anständiges Gehalt. Aber er verdient dabei niemals genug, um sich die sündhaft teueren Anzüge und maßgeschneiderten Hemden leisten zu können, die er tagein, tagaus trägt. Außerdem wird er jeden Morgen von einer bildhübschen Frau in einer luxuriösen Limousine zur Arbeit vorgefahren. Sehr verdächtig.
    »Ist es Ihre Verlobte?«
    »Nein. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
    »Sie scheint sehr begütert zu sein?«
    »Ja. Sie verdient gut. Sie ist Mannequin.«
    Bujard schweigt und mustert spöttisch sein kümmerliches Gegenüber. Der Mann wehrt sich:
    »Ich weiß genau, was Sie denken! Daß ich womöglich geheime Dokumente verkaufe, um mir die Liebe einer Frau zu erhalten, die viel zu schön für mich ist! Hab’ ich nicht recht? So ist es doch! Aber Sie irren sich! Forschen Sie ruhig nach, ich habe nichts zu verbergen!«
    »Der nächste bitte!«
    Jetzt hat eine Frau unbestimmten Alters vor Bujard Platz genommen. Sie trägt eine graue Schürze, und ist überhaupt eine graue Maus. Jeder kennt sie im Ministerium. Sie arbeitet hier schon seit Urzeiten — und ausgerechnet in dem Schreibbüro, wo die meisten Dokumente getippt werden.
    »Sie haben Ihren Mann vor vier Jahren verloren, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Es ist ein hartes Los, alleine zu leben.«
    »Ich lebe nicht alleine.«
    »Ach ja, da steht es in Ihrer Personalakte. Sie wohnen mit einem Drucker zusammen.«
    »Ja. Das ist kein Staatsgeheimnis. Er ist Witwer und hat drei Kinder, mit meinen haben wir fünf zu ernähren!«
    »Da braucht man aber viel Geld, nicht wahr?«
    »Je nachdem.«
    »Nun ja, dieser Drucker mit dem Sie leben, der hat einen Bruder?«
    »Der ist auch Drucker, ja.«
    »Aber bei einer kommunistischen, subversiven Zeitung!«
    »Stimmt. Deswegen reden die beiden Brüder schon seit Jahren nicht mehr miteinander. Prüfen Sie nach, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben.«
    »Der nächste bitte!«
    Und so geht es den ganzen Tag lang und auch an den drei folgenden Tagen, während in den Nächten immer mehr Dokumente verschwinden. Manchmal sind es ganz harmlose Berichte — nicht einmal vertraulich — die gestohlen werden, und gerade diese Tatsache bereitet Oberleutnant Bujard Kopfzerbrechen! Geschieht das zur Tarnung? Wer kann ein Interesse daran haben, derartig belanglose Informationen stapelweise an sich zu nehmen? Und wie schafft es diese Person überhaupt? Jedes Fleckchen im Ministerium wird Tag und Nacht bewacht. Keiner kommt hinein oder hinaus, ohne durchsucht zu werden, ja manche müssen sich sogar eine Leibesvisitation gefallen lassen — es sind nur Stichproben — jeden kann es treffen, auch den Colonel!
    Nach einer Woche, tappen alle noch völlig im Dunkeln. Selbstverständlich hat die Presse davon Wind bekommen, und bald ist der Skandal perfekt.
     
    Endlich, am achten Untersuchungstag, tut sich etwas. Gleich am Morgen, um neun Uhr, als er unauffällig in sein Büro schleichen will, wird Oberleutnant Bujard Zeuge einer grotesken Szene: Die Chefsekretärin des Personalbüros streitet sich heftig mit der Putzfrau:
    »Aber, Madame Rognon, ich bitte Sie, versuchen Sie endlich zu verstehen!«
    »Da gibt es gar nichts zu verstehen! Es steht so im Gesetz! Sie müssen mir die Fahrtkosten zur Arbeit erstatten!«
    »Das ist völlig in Ordnung, und das tun wir auch!«
    »Also dann, geben Sie mir das Geld!«
    »Ich kann Ihnen das Geld nicht geben, weil Sie es schon bekommen haben!«
    »Das stimmt nicht! Sie haben mir eine Fahrtkostenvergütung bezahlt, das ist etwas anderes. Ich will das Geld für die Metro!«
    »Diese Vergütung ist für die Metro!«
    »Und was ist, wenn ich zu Fuß zur Arbeit komme? Dann bekomme ich die Vergütung trotzdem, oder?«
    »Ja, ja!«
    »Ich komme aber nicht zu Fuß! Ich nehme die Metro, also will ich auch jetzt das Geld dafür!«
    »Schluß jetzt! So geht es nicht weiter! Kommen Sie morgen wieder. Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, kriegen Sie das Geld für die Metro, aber dann
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