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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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festlichen roten Burnus, die Führer der Berberstämme im weißen
    Burnus und das Fußvolk im blauen Burnus. Die französische Trikolore ist gut vertreten! Ganz hinten, in ärmliche Gewänder gehüllt, warten die Feinde, die Marabuts!
    Die Vorstellung beginnt. Robert-Houdin und sein Adjudant führen zuerst einige Zauberkunststücke vor, die zwar gekonnt und erstaunlich sind, mit denen sie aber ganz sicher nicht viel Eindruck bei den Unverwundbaren machen können. Das ist Absicht. Der Magier wird schon zuschlagen, wenn der Augenblick gekommen ist.
    Nach jeder Darbietung fühlen sich die Marabuts sicherer - innerlich triumphieren sie schon. Robert-Houdin weiß das. Jetzt muß er ihnen beweisen, daß er unverwundbar ist!
    Hier hört allerdings die Kunst der reinen Illusion auf. Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit allein genügen nicht mehr bei den sogenannten Todesnummern. Ein gewisses Risiko ist immer dabei. Der Magier hat sich wirklich etwas einfallen lassen. Die Hauptattraktion ist auch ein politischer, militärischer Angriff! Schafft es Robert-Houdin, die Kaïden und Marabuts von seiner Unverwundbarkeit zu überzeugen, dann wird Ruhe in die Kabylei einkehren und die schwer erkämpfte Eroberung von Algerien wird nicht mehr durch Revolten gefährdet sein!
    Der Magier holt ein Gewehr und fragt ins Publikum, ob ein Freiwilliger bereit sei, auf ihn zu schießen. Ein Marabut läßt sich nicht lange bitten. Robert-Houdin reicht ihm die Waffe und Kugeln:
    »Lade selbst das Gewehr! Ich gehe zehn Schritte zurück. Dann kannst du auf mich schießen!«
    Alle Zuschauer — ob Franzosen oder Araber — halten den Atem an. Der Marabut zögert keine Sekunde. Es knallt! Als der Rauch sich verzogen hat, holt Robert-Houdin die Kugel aus seinem Mund heraus und verbeugt sich devot vor dem gedemütigten Marabut. Brausender Applaus! Mission erfüllt.
     
    Mit dieser Todesnummer — selbstverständlich waren die Kugeln präpariert — hat der große Zauberer wirksamer für Frankreich gestritten, als alle Regimenter in den letzten zehn Jahren! Überwältigt von dem Erfolg, bittet Maréchal Randon den Zauberkünstler, seine Unverwundbarkeit im ganzen Land vorzuführen, bei allen kleinen Stämmen, die über die weite Sahara verstreut sind. Das wird keine Vergnügungsreise, aber der Held des dritten französischen Kaiserreiches kennt sich kaum noch selbst vor Stolz und Übermut.
    Einige Tage später, setzt sich also die seltsamste Karawane der nordafrikanischen Kolonialarmee in Bewegung Richtung Süden, Richtung Sonne und Wüste, soweit das Auge reicht. Wochenlang kolonisiert der Zirkus eine Oase nach der anderen.
    In Gardaja, der weißen heiligen Stadt des Maghrebs, wird Robert-Houdin mit seinem Assistenten zu einem Festmahl im Palast des Kaïden geladen. Wie überall sind alle Gäste auf den Nachtisch gespannt — auf die Todesnummer. Für die beiden Franzosen ist sie Routine geworden, nur ein Gesellschaftsspiel! Doch als sie sich heute Abend in Positur stellen, erhebt sich ein Marabut und sagt:
    »Ich habe dich in Algier gesehen. Hier, nimm eins von diesen beiden Gewehren! Du hast die Wahl. Ich werde aber mit diesen Kugeln hier das Gewehr selbst laden und dann auf dich schießen! Du brauchst dich nicht zu fürchten, du bist doch unverwundbar!«
    Damit hatte Robert-Houdin nicht gerechnet. So hat er überhaupt keine Möglichkeit an die falschen Kugeln heranzukommen, die immer, vorsichtshalber, bei seinem
    Assistenten versteckt sind. Ihm läuft es eiskalt über den Rücken! Um Zeit zu gewinnen, stottert er:
    »Ja. Ich habe keine Angst. Nur... ich habe meinen Talisman leider verloren.«
    Der Marabut lacht aus vollem Hals! Er ahnt nämlich schon lange, daß Robert-Houdin sie alle zum Narren hält, aber er weiß nicht wie? Seit Wochen folgt er in sicherem Abstand den Kamelen der Franzosen. Jetzt ist seine Stunde gekommen.
    »Dein Talisman? Ich glaube dir kein Wort! Du bist ein Betrüger!«
    Jetzt, in der Stunde der Wahrheit, erweist sich der Zauberer wirklich als großer Illusionist! Die Würde selbst, höflich und gelassen, antwortet er:
    »Ich habe meinen Talisman verloren, aber ich brauche ihn nicht. Das Gebet allein macht mich unverwundbar, das Gebet zu Gott, dem Herrn! Laß mich heute Nacht beten und du kannst mich bei Sonnenaufgang vor allen Leuten erschießen!«
    »Es wird deine letzte Nacht sein! Allah ist groß!«
     
    Nur noch ein Wunder kann Robert-Houdin retten! Das heißt... zwei Wunder! Er braucht die präparierten Kugeln — sein
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