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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise
Autoren: Caroline Vermalle
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Festnetztelefon.«
    »Eben nicht«, erwiderte Charles. »Normalerweise müsste das Handy klingeln.«
    Georges starrte ihn fassungslos und fast ein wenig betrübt an.
    »Ach so«, sagte er freundlich, ganz getreu dem Prinzip, dass es besser war, den Mund zu halten, als alle Leute verrückt zu machen. Es war dennoch schade, dass Charles nun den Verstand verlor. Er war noch so jung.
    Charles verschwand. Die Wissenslücken seines Freundes im Bereich der Telefonkommunikation schmeichelten ihm, denn dadurch konnte er mit seinen eigenen Fähigkeiten richtig prahlen. Als er keine fünf Minuten später zurückkehrte, saß Georges wieder auf seinem Stuhl.
    »Und? Welches hat geklingelt?«
    »Hier hat nichts geklingelt.«
    Charles war sprachlos. »Du bist doch wohl nicht wieder eingeschlafen?«
    »Nein, nein, mein lieber Freund. Ich war hellwach, und hier hat nichts geklingelt. Welche Nummer hast du denn angerufen?«
    »05 49 57 68 34.«
    »Ja, stimmt«, bestätigte Georges. »Das ist die Telefonnummer vom Festnetz. Wieso musstest du auch an dem Telefon herumfummeln? Jetzt funktioniert es nicht mehr. So ein Mist!«
    »Das verstehe ich nicht«, meinte Charles verärgert. »Das Handy hätte klingeln müssen. Da muss ich noch mal bei France Télécom anrufen ...«
    »Hör mal, Charles«, sagte Georges leise. »Ist doch klar, dass das Handy nicht geklingelt hat, wenn du die Nummer vom Festnetz gewählt hast. Und außerdem besteht auch kein Grund, dass das Handy klingelt. Es ist ausgeschaltet, verstehst du?«
    »Na wunderbar! Es ist ausgeschaltet! Wo ist es?«
    Georges reichte ihm ein nagelneues Handy, das noch in seiner Schutzhülle steckte und offenbar noch nie benutzt worden war.
    »Ich nehme es mit. Bin gleich wieder da«, sagte Charles, der bereits in Richtung Garage verschwand.
    Georges setzte sich wieder auf seinen Stuhl und dachte, dass es wohl das Schicksal aller alten Leute war, eines Tages den Durchblick zu verlieren. Er versuchte, wieder einzuschlafen, um seinen Trübsinn zu vertreiben. Er musste Charles sagen, dass sie nicht fahren würden. Doch ehe er sich überlegt hatte, wie genau er das anstellen sollte, war Charles schon wieder da. Seine Hüfte musste heute verdammt gute Laune haben.
    »Wahnsinn! Es funktioniert ... Ich erkläre es dir ...« Adèle konnte ruhig bei ihm anrufen. Sie würde nichts merken. Sie konnten unbesorgt ihre Tour machen. Charles führte Georges in die Geheimnisse der Rufumleitung ein, und wo sie schon einmal dabei waren, entführte er ihn auch gleich in die herrliche Welt der modernen Kommunikation. Das Ganze dauerte so lange, dass sein Kalbsbraten mit Karotten in einer Tupperware-Dose in den Kühlschrank gestellt wurde und der Salat ebenfalls und sein Milchreis auch und dass er sogar seinen Malzkaffee nach dem Essen und sein Tässchen Kakao um vier Uhr verpasste ... Seine jugendliche Begeisterung war stärker als das Knurren seines Magens, aber vor allem hatte sie Georges’ Stimmen zum Verstummen gebracht. Sie waren aus Höflichkeit verstummt. Aus Respekt. Denn diese Stimmen konnten einen Menschen quälen, ihn durch unzählige Zweifel verrückt machen und ihm Lobeshymnen aufs Faulenzen und auf die Feigheit singen. Doch Nachbarn rührten sie nicht an.

    Sechs Tage später fuhr ein Renault Scénic – blau-metallic mit Schiebedach und Navigationssystem – auf der kleinen, von Bäumen gesäumten Straße in Chanteloup auf die Kurve zu. Der neue Wagen glitzerte stolz in der noch warmen Septembersonne. Georges sah im Rückspiegel Charles’ Familie, die ihnen zum Abschied winkte. Thérèse wischte sich eine Träne aus dem Auge, und das Haus, in dem er dreiundachtzig Jahre lang gewohnt hatte, wurde immer kleiner, ehe es hinter den Bäumen verschwand. Das Herz war ihm schwer und die Kehle ein wenig zugeschnürt, aber er bedauerte nichts. Charles, der mit einer Hand lenkte und die andere aus dem Fenster streckte und hin und her schwenkte, schien ein ganzes Freudenorchester im Herzen zu haben. Gemeinsam brachten sie es auf einhundertneunundfünfzig Jahre, und sie waren zur Tour de France aufgebrochen.

Donnerstag, 25. September

    Chanteloup (Deux-Sèvres) – Notre-Dame-de-Monts (Vendée)
    ....................
    Ihre große Abenteuerreise im Renault Scénic folgte exakt der Route der Tour de France von 2008. Es waren also einundzwanzig Etappen (nur mit einem kleinen Unterschied, denn in der Tour von Georges und Charles gab es keine vierte Etappe, da sie das Einzelzeitfahren von Cholet nicht
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