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Demolition

Demolition

Titel: Demolition
Autoren: Alfred Bester
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Mädchen?« fragte er. Sie nickte. »Ich möchte nicht, daß du dir das ansiehst. Es ist nicht gefährlich, kann aber schädlich für deine Gemütsruhe sein. Gehst du hinüber zu dem Pavillon und wartest auf mich? Wie ein braves Mädchen? Also gut... Dann los. Zisch ab!« Sie küßte eilig seine Hand und lief über den Rasen davon, ohne sich nur einmal umzuschauen. Powell sah ihr nach, dann drehte er sich um und betrachtete Reich.
    Wenn man in der Kingston-Klinik einen Menschen der Demolition unterzieht, wird seine gesamte Psyche zerstört. Die Reihe osmotischer Injektionen beginnt mit den obersten Gewebeschichten der Großhirnrinden-Synapsen; dann arbeitet man sich langsam abwärts, so daß jegliche zerebralen Schaltkreise stillgelegt werden, alle Erinnerungen erlöschen, am Ende alle Bestandteile der geistigen Struktur, die von Geburt an entstanden waren, vernichtet sind. Und während der Geist zerfällt, setzt jeder seiner Partikel seine Energie frei, verwandelt er den ganzen Körper in einen Mahlstrom krampfartiger Zerrüttung. Aber nicht darin liegt die Qual; nicht das ist das Furchtbare an der Demolition. Das Schreckliche ist vielmehr die Tatsache, daß bis zum Schluß die Bewußtheit nicht schwindet; daß der Verstand es wahrnimmt, wie die Psyche langsam in Richtung Vergangenheit abstirbt, bis endlich auch er erlischt und der Wiedergeburt harrt. Der Verstand erlebt eine Ewigkeit des Abschieds; er klagt in endlosem Begräbnis. Und hinterm Zwinkern und Zucken von Ben Reichs Augen sah Powell diese Bewußtheit... den Schmerz... die tragische Verzweiflung.
    »Nanu, wie ist er denn da hinuntergefallen? Müssen wir ihn womöglich anschnallen?« Oben schob Dr. Jeems seinen Kopf über die Brüstung. »Ach, hallo, Powell! Das ist ein Freund von Ihnen. Entsinnen Sie sich an ihn?«
    »Lebhaft.«
    Jeems sprach über die Schulter. »Er liegt unten auf dem Rasen. Holen Sie ihn rauf. Ich behalte ihn im Auge.« Er wandte sich wieder an Powell. »Er ist ein munterer Bursche. Wir haben für ihn große Hoffnungen.«
    »Wie bekommt ihm die Behandlung?«
    »Prächtig. Er besitzt eine Widerstandskraft damit kann er allem standhalten. Wir erhöhen die Verabreichung stufenweise. In einem Jahr dürfte er bereit zur Wiedergeburt sein.«
    »Ich warte regelrecht darauf. Männer wie Reich haben wir nötig. Es wäre eine Schande gewesen, ihn zu verlieren.«
    »Verlieren? Wieso denn das? Sie glauben doch sicherlich nicht, ein so harmloser Plumps könnte...«
    »Nein, ich meine etwas anderes. Vor drei-oder vierhundert Jahren pflegte die Polizei Leute wie Reich gefangenzunehmen, bloß um sie dann zu töten. Todesstrafe nannte man das.«
    »Sie scherzen.«
    »Nein, mein Ehrenwort darauf.«
    »Aber so etwas ist doch unsinnig. Wenn ein Mensch soviel Begabung und Mut besitzt, daß er sich gegen die Gesellschaft zu stellen wagt, ist er eindeutig eine überdurchschnittliche Persönlichkeit. So eine Person kann man doch gebrauchen. Man rückt sie zurecht und verwandelt sie in ein gesellschaftliches Plus. Warum sollte man einen solchen Menschen aufgeben? Treibt man das lange genug, bleiben nur Schafsköpfe übrig.«
    »Keine Ahnung. Vielleicht wollte man damals bloß Schafe.« Die Pfleger kamen über den Rasen geschlendert und richteten Reich auf. Er wehrte sich und brüllte. Sie bändigten ihn mit dem schonungsvollen Kingston-Judo-Stil und untersuchten ihn fürsorglich auf Brüche und Zerrungen. Nachdem er sich als unversehrt heraus gestellt hatte, wollten sie ihn in aller Ruhe fortführen. »Halt, einen Moment noch«, rief Powell. Er ging zu der steinernen Bank, holte das geheimnisvolle Päckchen und löste die Verpackung. Darunter befand sich eine der bombastischsten Pralinenschachteln, die sich in der Konditorei »Süße Kleine Chose« erhalten ließen. Er brachte sie zu dem in der Demolition begriffenen Mann und hielt sie ihm entgegen. »Hier ist ein Geschenk für dich, Ben. Nimm's.«
    Das Geschöpf belauerte Powell mit scheelem Blick, dann betrachtete er die Schachtel. Schließlich streckte es unbeholfen die Hände aus und ergriff sie. »Tscha, nun bin ich sein Kindermädchen«, sagte Powell mit gedämpfter Stimme. »Wir alle sind Kindermädchen dieser verrückten Welt. Ob sie die Mühe wert ist?«
    Aus dem Chaos in Reichs Innerem drangen ausbruchsartige Empfindungsfetzen zu Powell vor. »Powell... ESPer... Powell... Freund...
    Powell... Freund...« Sie erreichten ihn so plötzlich, so unerwartet, so voller tiefer Dankbarkeit, daß sich Powell
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