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Dem Vaterland zuliebe

Dem Vaterland zuliebe

Titel: Dem Vaterland zuliebe
Autoren: Alexander Kent
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den Niedergang hinunter, und zog, auf dem Weg zur Heckkajüte, den Kopf vor den niedrigen Decksbalken ein.
    Es roch hier wie immer, auch die Werft konnte den Geruch des Schiffs nicht überlagern. Farbe, Teer, Hanf und stickige Nässe. Und doch war sie keine so strapazierte Brigg wie jede andere. Tyacke hatte sie zu einem Schiff gemacht, auf das er stolz sein konnte.
Der Teufel mit dem halben Gesicht.
    Würde er jetzt wieder ganz von vorn anfangen?
    Konnte man ihn überhaupt darum bitten?
    Tyacke stand vor den hellen schrägen Heckfenstern. Er stand mit gebeugten Schultern zwischen den niedrigen Balken der kleinen Kajüte, die die ganze Breite des Hecks ausfüllte. Sein Gesicht lag im Schatten.
    »Willkommen an Bord, Sir!« sagte er. Er griff nach seiner Uniformjacke mit der einzelnen Epaulette auf der linken Schulter.
    Aber Bolitho unterbrach ihn. »Ich komme ohne Einladung.« Er ließ seinen Bootsmantel einfach fallen und hängte die schwere Jacke seiner Ausgehuniform über einen Stuhl. »Lassen Sie uns bitte mal von Mann zu Mann reden!«
    Tyacke öffnete einen Schrank, nahm eine Flasche und zwei Gläser heraus.
    »Stammt von einem Schmuggler, Sir. Scheint ganz gut zu sein!«
    Als er sich umdrehte, fiel das vom Wasser reflektierte Licht auf seine linke Gesichtshälfte. Sie war ausgeprägt wie die von Avery, mit tiefen Krähenfüßen um die Augen, Spuren all der Jahre auf so vielen Ozeanen.
    Die andere Seite des Gesichts war so verbrannt, daß sie kaum noch menschlich aussah. Nur das Auge war unverletzt, strahlte blau wie die Augen von Herrick. Selbst sein widerspenstiges Haar war nicht davongekommen. Früher war es schwarz wie Bolithos gewesen, doch jetzt zeigten sich schon graue Strähnen. Über den Brandnarben war sein Haar nun schlohweiß, genau wie Bolithos verhaßte Locke, die seine Stirnnarbe bedeckte.
    Passiert war das auf der
Majestic
während der Schlacht von Abukir, wie man sie jetzt nannte. Tyacke kommandierte das unterste Kanonendeck. Um ihn herum explodierte plötzlich die brennende Hölle. Er hatte nie herausgefunden, was die Explosion verursacht hatte, denn die Mannschaften waren sofort tot gewesen. Auch Westcott, Kommandant der
Majestic,
war an diesem schrecklichen Tag gefallen.
    Der Cognac war stark und feurig. Sie stießen mit den Gläsern an, und Tyacke sagte: »Ein Gegner, der den Kampf aufnimmt, und genügend Raum auf See, Sir, mehr verlange ich nicht!«
    Es war schon seltsam, den altvertrauten Trinkspruch hier in der Werft zu hören. Man hörte, nur ein paar Zoll höher, Arbeiter über das Achterdeck schlurfen. Viele Längen Tau wurden über das Deck gezogen, um dann zu den Riggern in Masten und Rahen gehievt zu werden.
    Tyacke sah ihn ruhig an. Dann fragte er entschlossen: »Sie werden mir mein Schiff abnehmen, Sir, nicht wahr?« Die Frage schien körperlichen Mut zu verlangen.
    Es hörte sich leicht an – und brach doch sein Herz. Er drehte jetzt sein Gesicht in den spärlichen Schatten, als wolle er unbedingt das Licht, das durch das Skylight fiel, vermeiden. So viel war auf diesem Schiff geschehen. So viele Entscheidungen, für manchen vielleicht sogar zu viele. Sie hatten oft mutterseelenallein gegen die gewaltige See angekämpft. Aber dieser Mann hatte nie aufgegeben.
    Bolitho sagte: »Ich habe erfahren, daß die
Larne
auf ihr Kommando vor Afrika zurückkehren wird, um dort wieder Sklavenschiffe aufzubringen – bald wieder. Ich habe auch erfahren, daß niemand aus Ihrer Mannschaft auf ein anderes Schiff versetzt wird. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das schriftlich vom Hafenadmiral geben.«
    Tyacke starrte auf seine große Seekiste. »Das würde ich gern schriftlich haben, Sir. Ich habe noch nie einem Hafenadmiral getraut.« Er blickte hoch, schien einen Augenblick verwirrt. »Das ist dumm ausgedrückt, Sir, tut mir leid.«
    »Ich war auch einmal Kommandant einer Fregatte.«
    Seltsam, daß der Satz selbst nach den vielen Jahren noch schmerzte.
Auch einmal
Kommandant einer Fregatte. »Ich kann mich sehr genau daran erinnern, wie man mir ständig gute Leute wegnahm und sie durch Galgenvögel ersetzte.«
    Tyacke füllte Cognac nach und wartete.
    »Ich habe kein Recht, Sie zu fragen, aber …«, begann Bolitho. Er unterbrach sich, weil etwas Schweres oben an Deck umgestürzt war. Er hörte Ozanne sofort laut fluchen und danach lachen. An Bord eines königlichen Schiffs wurde selten gelacht.
Wie kann ich ihn bloß fragen?
    Tyacke war vor dem Fenster nur als Silhouette
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