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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen
Autoren: Mary Monroe
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bedenklichen Blick mit dem Arzt.
    Verängstigt hob Harris die Hand und tastete suchend die Luft ab. Ella nahm seine Hand und hielt sie fest.
    “Harris, ich bin es.”
    Seine Augen blickten umher, aber sie erkannten nichts. Er öffnete vorsichtig seine gesprungenen Lippen: “Ella?”
    “Ja, ich bin hier.”
    Er drückte ihre Hand und schloss die Augen wieder. “Verlass mich nicht.”
    Wortlos hielt Ella seine Hand. Ihr Herz schien abzuheben. Sie fühlte sich in diesem Moment wie ein Falke, und sie flog hoch über der Notaufnahme, hatte ihre Flügel gespreizt und zog ihre Bahnen. Vor ihrem Auge erschienen Bilder aus ihrer Vergangenheit: Bobbys Hand, die ihr langsam entglitt, und der Herzmonitor, der eine Flatline zeigte; der alte Gockel, der sie von der alten Sumpfkiefer aus anstarrte, Brady und Clarice, die sich mit glänzenden Augen anstrahlten; Marions Kopf an ihrer Brust; der Luftzug von Flügelschlägen an ihrer Wange; Lijah, der Pfeife rauchend an seiner Hütte stand; Harris’ Hand, die unter der Zeltplane am Fluss nach ihr griff; Harris, der zwischen zerwühlten Laken in einem schmalen Bett seine Arme um sie schlang, ihr Sicherheit gab, sie näher an sich zog, sie nach Hause brachte.
    Wie der Falke nach dem Köder, griff Ella nach Harris’ Hand, um nie mehr loszulassen. Ihr Herz stieg immer höher, höher, als sie jemals zu träumen gewagt hatte. Und während sie auf ihn blickte und lächelte, schwebte sie.

EPILOG
    W anderung:
Im Herbst, wenn die Jahreszeit und das Sonnenlicht sich ändern und das Futter knapp wird, stellen sich die Greifvögel darauf ein, in ein wärmeres Gebiet zu ziehen. Sie verlassen ihre Brutplätze und segeln im Aufwind über weite Strecken zu einem Ort, wo sie Nahrung finden. Die Versammlung hunderter, gar tausender dieser Vögel, die am Himmel in Spiralen gleiten und kreuzen, wird auch Kessel genannt. Niemand, der Zeuge dieses Spektakels wird, bleibt davon unberührt und ist nicht mit Bewunderung und Hoffnung erfüllt
.
    Harris stand allein in der Mitte des Flugfeldes. Er drehte sich langsam um die eigene Achse und atmete die duftende Luft ein, die noch mild war, aber schon spüren ließ, dass kühlere Nächte kommen würden. Das Gras unter seinen Füßen wurde braun, das Laub bekam goldene und rötliche Spitzen, und die Sümpfe waren dabei, ihr Kostüm für Halloween anzulegen. Der Wind wehte frisch, und Harris vernahm lautes Gekreische. Er hob den Kopf und sah am Himmel einen riesigen Schwarm Vögel, die mit den Flügeln schlugen, zwitscherten und wunderschöne Flugmanöver vollzogen.
    Die Singvögel zogen schon seit Wochen in den Süden und ruhten sich auf ihrem beschwerlichen Weg in Bäumen und auf Strommasten aus. Die Bussarde flogen auch in den Süden, aber sie glitten so hoch am Himmel dahin, dass die meisten Menschen sie gar nicht wahrnahmen. Falken, Fischadler und Habichte waren auch unter ihnen, und gemeinsam flogen sie an der Küste gen Süden. Einige von ihnen würden die lange Reise überstehen und im nächsten Frühling zurückkehren. Andere nicht. Das war der Lauf der Dinge. Er konnte sie nicht alle retten.
    Harris stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete noch einmal das Coastal Carolina Center für Greifvögel. Er fühlte sich seltsam verbunden mit der Erde, und tief im Herzen spürte er, dass er niemals fortgehen würde. Dies war seine Heimat. Hier würde er bleiben.
    Der Sommer war zu lang gewesen und zu angefüllt mit Feuer und hitziger Leidenschaft. Er war müde und freute sich darauf, dass die Tage kürzer wurden und dass er lange Nächte vor dem Kamin verbringen konnte, in den Armen seiner Lieben. Der Herbst war die Zeit der Veränderungen, der Winter die Zeit der Einkehr. Und er hatte vieles, worüber er nachdenken musste. Vieles, wofür er dankbar sein konnte.
    Er wandte sich um und sah über das Feld zu den etwa fünfzig Menschen, die sich für einen guten altmodischen Scheunenbau versammelt hatten. Spenden waren zuhauf eingegangen, nachdem die örtlichen Nachrichtenstationen über den verheerenden Brand im Center berichtet hatten. Die Menschen hatten gezeigt, dass sie teilnahmen, dass sie sich sorgten, und sie hatten nicht nur genug Geld gesammelt, um die Klinik wieder aufzubauen, sondern auch noch, um die Flugvolieren fertig zu stellen. Es hatte ihn erfreut, zu sehen, wie groß die Hilfsbereitschaft der Gemeinde war, für die er arbeitete. Das neue Klinikgebäude war besser ausgestattet, und die Anzahl der Helfer stieg. Harris hatte neue
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