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Delirium

Delirium

Titel: Delirium
Autoren: Lauren Oliver
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Arme zittern, während ich mich festkralle, und in einem plötzlichen Anfall von Ruhe und Klarheit wird mir bewusst, dass wir es niemals schaffen werden. Wir werden beide heute sterben, werden erschossen oder gehen in einer Explosion aus Feuer und Metall auf, und wenn man uns beerdigt, werden wir so miteinander verschmolzen sein und einander umschlingen, dass man unsere Körper nicht vollständig trennen kann. Teile von ihm werden bei mir bleiben und Teile von mir bei ihm. Komischerweise macht mir dieser Gedanke überhaupt nichts aus. Ich bin beinahe bereit aufzugeben, bereit, meinen letzten Atemzug zu tun, während ich mich an seinen Rücken presse und zum letzten Mal spüre, wie sich seine Rippen und seine Lunge im Gleichklang mit meinen bewegen.
    Aber Alex will offenbar nicht aufgeben. Er biegt in die schmalste Gasse ein, die er finden kann, und zwei der Autos, die uns verfolgen, stoßen zusammen, kommen schlitternd zum Stehen und verstellen die Einfahrt, so dass auch die anderen Wagen gezwungen sind anzuhalten. Hupen dröhnen. Der durchdringende Gestank nach Rauch und verbranntem Gummi treibt mir Tränen in die Augen, aber dann sind wir aus der Gasse und rasen auf die Franklin Arterial zu.
    Weitere Sirenen jetzt, aus der Entfernung: Verstärkung ist unterwegs.
    Aber vor uns taucht die Bucht auf, entfaltet sich – ruhig, flach und grau wie Glas. Der Himmel schwelt, eine wachsende Flamme aus Rosa- und Gelbtönen. Alex biegt auf den Marginal Way ein und meine Zähne schlagen aufeinander, als wir über das alte, löchrige Pflaster rumpeln. Wir nähern uns unserem Ziel. Die Sirenen heulen lauter, wie ein Hornissenschwarm. Wenn wir nur die Grenze erreichen, bevor noch mehr Mannschaftswagen eintreffen … Wenn wir irgendwie an den Wachen vorbeikommen, wenn es uns gelingt, über den Zaun zu klettern …
    Dann steigt ein Hubschrauber vor uns auf wie ein riesiges Insekt, seine Lichter suchen im Zickzack die dunkle Straße ab, das Rattern seines Propellers ist ohrenbetäubend.
    Eine Stimme dröhnt aus dem Helikopter: »Im Namen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika befehle ich Ihnen, stehen zu bleiben und sich zu ergeben!«
    Büschel langen, sonnengebleichten Grases tauchen rechts von uns auf. Wir haben es in die Bucht geschafft. Alex reißt das Motorrad von der Straße aufs Gras und wir fahren halb schlitternd in den Schlamm, schräg rüber auf die Grenze zu. Matsch spritzt mir in Mund und Augen und nimmt mir den Atem. Ich huste, spüre, wie Alex sich gegen mich lehnt. Die Sonne ist jetzt ein Halbkreis und sieht aus wie ein halb geöffnetes Augenlid.
    Rechts von uns ragt Tukey’s Bridge auf, schwarz und dürr im Halbdunkel. Vor uns in den Wachhäuschen brennt noch Licht. Aus dieser Entfernung sehen sie so friedlich aus, genau wie hängende Papierlampions, zerbrechlich und zart. Dahinter sind der Zaun, der Gürtel aus Bäumen, Sicherheit. So nah. Wenn wir nur genug Zeit hätten … Zeit …
    Irgendetwas knallt; eine Explosion in der Dunkelheit; der Schlamm wird in einem Bogen hochgeschleudert. Sie schießen wieder, diesmal aus dem Hubschrauber.
    Â»Anhalten, absteigen und Hände über den Kopf!«
    Die Streifenwagen sind auf der Straße angelangt, die die Bucht umgibt. Immer mehr Autos kommen mit quietschenden Bremsen zum Stehen und Polizisten strömen die Wiese hinunter auf den Marschstreifen zu – Hunderte, mehr, als ich je auf einmal gesehen habe, sie sehen dunkel und unmenschlich aus wie ein Schwarm Kakerlaken.
    Wir sind jetzt wieder oben, auf dem kurzen Streifen Gras, der das Wasser von der alten, aufgerissenen Straße und den Wachhäuschen trennt, und schlängeln uns schnell durch ein Gewirr aus Sträuchern, deren Zweige schmerzhaft gegen meine Haut schlagen.
    Und dann hält Alex ganz plötzlich an. Ich knalle gegen ihn, wobei ich mir heftig auf die Zunge beiße und Blut im Mund schmecke. Über uns schwankt das Licht aus dem Hubschrauber ein bisschen, versucht uns zu finden und hält uns dann in seinem Strahl gefangen. Alex nimmt die Arme über den Kopf und klettert vom Motorrad, dreht sich zu mir um. In dem grellweißen Licht ist sein Gesichtsausdruck undurchdringlich, als hätte er sich in diesem Moment in Stein verwandelt.
    Â»Was tust du da?«, schreie ich über den Lärm der Propeller und das Gebrüll und die Sirenen hinweg und unter allem hört man das
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