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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Autoren: Amy Garvey
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Hand gemalt hat und das allmählich verblasst, fasziniert ist.
    Aber als es mir das sechste Mal gelingt, den Kopf schnell genug zu drehen, um ihn beim Anstarren zu erwischen, ist klar, dass er nichts davon mustert. Er sieht mich an und irgendwie hält er sich nicht bei dem auf, was ich anhabe, bei meinem Haar oder dem Trio aus silbernen Kreolen in meinem rechten Ohr.
    Es ist viel mehr als das. Obwohl ich kein Wort zu ihm gesagt habe, sieht es aus, als höre er mir zu. Sein Kopf ist leicht zur Seite geneigt, er konzentriert sich und kneift ein wenig die Augen zusammen, als versuche er, etwas aufzuschnappen, das er nicht deutlich hören kann. Prompt tanzt das lose Ende jener mühsam gebändigten Elektrizität peitschend über meine Nerven.
    »Was?«, zische ich und der Globus, der vorne steht, kracht mit lautem Scheppern von seinem Fuß.
    Ich schlucke schwer und halte den Blick starr auf mein Pult gerichtet, während Ms Nardini überrascht aufkeucht. »Okay, also das war seltsam«, sagt sie mit einem nervösen Lachen. Sie kommt gerade frisch von der Uni, wo sie ihr Potential als Superblondine unter Beweis gestellt hat, wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, und sie unterrichtet stets dermaßen strikt nach Lehrplan, als hielte ihr jemand eine Waffe an den Kopf.
    Sie untersucht den Globus immer noch auf Sprünge oder Kratzer, als ich Gabriel einen verstohlenen Blick zuwerfe.
    Er lächelt.
    Als er schließlich in der Siebten in meinen Geschichtsunterricht schlendert, koche ich vor Wut. Das bedeutet, wir haben drei Fächer zusammen, den Anwesenheitscheck nicht mitgezählt. Drei Stunden, in denen er mich mit zur Seite geneigtem Kopf beobachtet. Die Haare fallen ihm in die Stirn und verbergen seinen gelassenen Blick, wann immer ich kurz zu ihm hinübersehe.
    Ich stütze den Kopf in die Hand, während ich mein Bestes gebe, die wild brodelnde Energie in mir unter Kontrolle zu halten. Bis jetzt war das einzige weitere Opfer eine Glühbirne in Madame Hobarts Französischstunde, aber es wird immer schwerer, das Summen zu ignorieren. Meine freie Hand ballt sich im Schoß zu einer Faust, die Nägel bohren sich in die Handfläche und der stechende Schmerz verringert den Drang, die Woge aus mir herausbrechen und explodieren zu lassen.
    Falls Mr Dorsey uns Hausaufgaben aufgibt, habe ich keine Ahnung, welche. Ich bin als erste aus dem Zimmer, kaum dass der Gong ertönt.
    Ich betrete den Raum, in dem wir Literatur haben, und Darcia wartet auf mich. Sie kaut auf einer Strähne ihres dunklen Haares, die Füße hat sie auf die Sitzfläche ihres Stuhls gezogen, mit den Armen umschlingt sie die Knie.
    »Bist du mit der Lektüre durch?«
    »Ich habe quergelesen«, antworte ich und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Falls Gabriel dieses Klassenzimmer betritt, werde ich mich schützend über Darcia werfen müssen, damit sie nicht von einem Schrapnell getroffen wird.
    Sie sagt nichts, bis ich meinen Block aus dem Rucksack gezogen habe. Als ich hochgucke, wickelt sie die Haarsträhne um ihren Finger. »Möchtest du nach der Schule mit zu mir kommen? Wir könnten zusammen an unseren Aufsätzen arbeiten.«
    Eine Minute lang erlaube ich mir, davon zu träumen. Darcia und ich, vielleicht auch Jess, rascheln durch die Blätter zu Darcia nach Hause, so wie früher. Jess raucht ihre Marlboros und Darcia rückt alle paar Meter ihren vollgepackten Rucksack zurecht. Die behagliche Unordnung in Darcias Zimmer, geöffnete Coladosen überall, und eine halbleere Packung Salzbrezeln, die wir rumreichen, während Darcia ihre Hausaufgaben durchgeht und Jess sich mit einer Zeitschrift auf dem Bett fläzt.
    Ich sehne mich so sehr danach, dass mein Herz schmerzvoll pocht. Es ist viel zu lange her, seit wir einfach so zusammen waren wie sonst immer, und ich weiß, dass Darcia nicht versteht, wieso. Sogar als Danny noch lebte, habe ich sie nicht dermaßen vernachlässigt; so wie einige Mädchen es mit ihren Freundinnen machen, sobald sie einen Freund haben.
    Aber dann sehe ich Danny vor mir, wie er vor der Treppe sitzt, die hinunter in die Garage führt, ruhelos, bleich, mit zitternden Knien, und ich muss schlucken. »Der ist doch erst in einer Woche fällig«, sage ich zu ihr und wende mich wieder meinem Block zu, während gleichzeitig Mrs Garcia ins Zimmer kommt.
    Als die Glocke läutet und weit und breit kein Gabriel zu sehen ist, bin ich so erleichtert, dass ich vorgebe, Darcias Enttäuschung nicht zu bemerken.

Kapitel vier
    J ess wartet nach der Schule
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