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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Autoren: Amy Garvey
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begraben unter dem neuen.
    Demjenigen, der nur mich will und an nichts anderes denken kann.

Kapitel drei
    A n diesem Morgen schultere ich meinen Rucksack und verlasse das Haus durch die Vordertür wie jeden Tag, aber ich vergrabe das Gesicht bis zur Nasenspitze im Kragen meiner Jacke. Es besteht nicht die geringste Chance, dass Danny mich von dem einen Fenster über der Garage aus sehen kann, doch ich mache mir trotzdem jedes Mal Sorgen, dass er mich vielleicht beobachtet.
    Auf dem Weg zur Schule gucke ich ein Dutzend Mal über die Schulter. Soweit ich weiß, muss er tun, was ich ihm sage, und selbst in Momenten, in denen er dagegen aufbegehrt (was nicht oft vorkommt), hat er meine Anweisungen noch nicht einmal missachtet. Ich bin nicht sicher, ob er es überhaupt könnte. Trotzdem graut mir davor, eines Tages zu entdecken, wie er weiß wie ein Laken hinter mir hertrottet, mit zusammengekniffenen Augen in die helle Oktobersonne blinzelt und meinen Namen ruft.
    Sobald ich in der Schule bin, wo die Spindtüren knallen und alle lachen und sich Sachen über den Gang zurufen, entspanne ich mich. Ich lasse mich beim Anwesenheitscheck in der ersten Stunde auf meinen Platz gleiten und nicke Meg D’Angelo zu, die noch die Kopfhörer ihres iPods aufhat. Sie nickt zurück, wie sie es jeden Morgen tut. Wir kennen uns seit der dritten Klasse, und sie ist eine dieser Beinahfreundinnen, jemand, mit dem ich in der Schule zusammenhocke, wenn Jess und Darcia grad nicht in der Nähe sind. Nicht, dass ich viel Zeit mit ihnen verbracht hätte, seit Danny im Juli gestorben ist. Und während Jess mich in den letzten Wochen deswegen immer öfter wütend angefahren hat, starrt Darcia mich in Literatur nur traurig über eine Stuhlreihe hinweg an und schickt mir kryptische SMS über neue Songs, die ihr gefallen, oder die Fußballspiele ihres kleinen Bruders.
    Wenigstens sieht Meg mich nicht an, als hätte ich sie enttäuscht.
    Ich beuge mich runter, um mein Französischbuch aus dem Rucksack zu holen, während Mr Rokozny die Anwesenheitsliste durchgeht. Madame Hobart lässt uns heute einen Test über das Imparfait schreiben, und ich bin vor dem Fernseher eingeschlafen, bevor ich überhaupt ans Lernen denken konnte.
    Ich hebe automatisch die Hand, als Mr Rokozny meinen Namen aufruft, und gucke erst hoch, als er nach Cleo Darnells Namen eine kurze Pause macht und dann »Gabriel DeMarnes?« sagt.
    Zweiundzwanzig Augenpaare richten sich auf den Jungen ganz hinten im Raum. Sogar Rokozny mustert ihn mit zusammengekniffenen Augen über die Anwesenheitsliste hinweg. So spät im Oktober ist es ungewöhnlich, einen neuen Schüler beim Anwesenheitscheck vorzufinden.
    »Das bin ich«, sagt der Junge, und Audrey Diehl setzt sich etwas aufrechter hin, den Kopf erwartungsvoll zur Seite geneigt.
    Er ist groß, das ist mir sofort klar. Obwohl er mit gebeugtem Oberkörper über seinem Tisch hängt, reichen seine langen Beine bis auf das verblichene Linoleum des Ganges. Sein Haar hat die Farbe von feinem, hellem Sand und ist trotz seiner Kürze ziemlich strubbelig. An ihm ist alles Kante und Fläche, der geometrische Beweis eines Jungen in zerknittertem gelben Hemd und verwaschener Jeans, und als ich meinen Blick von den langen, schlanken Fingern loseise, die entspannt auf seinem Oberschenkel ruhen, blinzle ich überrascht.
    Denn obwohl er gerade von allen hier im Raum ausgiebig gemustert wird, starrt er ausgerechnet mich an.
    Gabriel DeMarnes ist an diesem Tag überall wie ein übler Geruch. Gabriel DeMarnes und seine seltsamen graublauen Augen, deren Blick viel zu oft auf mir ruht.
    Er setzt sich in Mathe auf den leeren Platz neben mir und lässt das zerfledderte Buch, das Ms Nardini ihm gegeben hat, mit einem Rums auf den Tisch knallen. Er hat einen Notizblock und einen Stift dabei, aber er fasst weder das eine noch das andere an. Wann immer er nicht gerade vorgibt, Ms Nardinis Geschwafel über trigonometrische Funktionen zu lauschen, beobachtet er mich aus dem Augenwinkel.
    Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, und zwar auf die brutalste Art. Mein Herz schlägt zu schnell und zu heftig, Kaninchen-like, und eine gefährliche elektrische Spannung vibriert unter meiner Haut. Er macht mich nervös, was mich wiederum wütend macht, weil er nur ein Junge ist, ein dämlicher neuer Junge, der noch keinen kennt und wahrscheinlich von etwas so Blödem wie meinen abgetragenen lila Chucks oder dem schwarzen Herz, das Danny vor zwei Tagen mit Edding auf meine linke
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