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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Autoren: Amy Garvey
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ihm zum Geburtstag bei eBay ersteigert hatte. Ich fand es auf meinem Schlafzimmerboden, kurz bevor Ryan mich anrief, und ich knüllte es in meiner Faust, während er mir erzählte, dass Becker im Krankenhaus sei und Danny tot.
    Es zischte und sprühte kurz, bevor eine heiße, wütende Zunge an meinem Handgelenk leckte und meine Haut versengte. Ich ließ das Shirt auf den Boden fallen und das Telefon dazu. Ryan redete immer noch, eine quakige Stimme wie aus weiter Ferne.
    Ich erinnere mich nicht an viel, was danach passiert ist, aber der Brandfleck ist immer noch da, ein rußiger schwarzer Kreis auf den verblichenen Eichendielen. Mom ist nicht sicher, ob er je wieder weggehen wird, aber sie hat mich nicht ein Mal gefragt, wie er dort hingekommen ist.

Kapitel zwei
    B eim ersten Mal war ich noch keine dreizehn. Es war, als müsste ich jeden Moment niesen, wie dieses Kribbeln, das einem sagt, dass es gleich passieren wird und man es nicht länger unterdrücken kann. Aber dieses Gefühl hier war noch viel stärker, ein vibrierendes Summen direkt unter meiner Haut, das dazu führte, dass ich mich innerlich wand.
    Ich war wütend auf meine Mutter, etwas, das in diesen Tagen Normalzustand war. Sie hatte mir verboten, bei Darcia zu übernachten, weil ich die Hausaufgaben für Sozialkunde noch nicht fertig hatte, und sie sagte: »Auf keinen Fall werde ich mir morgen den ganzen Tag anhören, wie du rumjammerst, weil die Zeit knapp wird.«
    Robin streckte mir von der anderen Seite des Küchentischs aus die Zunge raus, und ich schnitt ihr eine Grimasse, bevor ich meinen Stuhl zurückstieß und aufstand. »Räum deine Sachen ab, Wren«, sagte meine Mutter, ohne mich anzusehen, während sie die Teller in der Spüle abwusch.
    Mir gelang es nicht mal zu murmeln: »Tu ich das nicht immer?«, weil das Summen inzwischen sehr viel lauter geworden war, ein brennendes, wütendes Jucken direkt unter meiner Haut, und dann zischte die Glühbirne in der Fassung über dem Küchentisch und explodierte in einem weißen Funkenregen.
    Robin kreischte, schlug hektisch um sich und prügelte auf ihre Haare ein, sodass winzige Glassplitter über den Tisch schossen, bis meine Mom sie anfuhr: »Hör sofort auf damit! Bleib ganz ruhig sitzen.«
    Ich war zu einer Statue erstarrt, den Teller noch immer in der Hand, mein Mund stand offen. Das komische Summen war verklungen und von einer Art dumpfem Stechen abgelöst worden, wie bei einem schlimmen Sonnenbrand, der langsam besser wird. Aber die Küche knisterte immer noch vor Elektrizität.
    Das, da war ich mir ziemlich sicher, war eines dieser Dinge, über die wir nicht sprachen . So wie, wo unser Dad war oder warum Mom Tante Mari nicht mehr zu uns einlud.
    Oder warum Mom manchmal bloß im Keller verschwinden musste und die Lichter wieder angingen, obwohl sie uns den Strom abgestellt hatten, weil wir mit dem Bezahlen der Rechnungen im Rückstand waren. Mom hatte ihrerseits etliche Glühbirnen auf dem Gewissen und den Spiegel über dem Becken im Badezimmer, der uns alle monatelang waagerecht in zwei Hälften schnitt, ehe sie ihn ersetzte.
    Sie konnte auch andere Dinge geschehen lassen, bessere Dinge. Ballons, die noch Tage nach Robins Geburtstagsparty in der Luft schwebten. Osterglocken, die lange vor denen von irgendjemand anderem ihre Knospen zeigten. Ein Feuer im Kamin, das allein auf Grundlage einer Handvoll Zeitungspapiers und eines Zündholzes stundenlang brannte.
    Als ich noch richtig klein war, so sechs oder sieben, und Dad uns gerade verlassen hatte, wachte ich beinah jede Nacht weinend auf, Alpträume abschüttelnd wie ein Netz, in das ich mich verstrickt hatte. Mom kam dann zu mir ins Bett und sang leise Unsinnsmelodien, von denen sie sagte, dass Gram sie ihr schon vorgesungen habe, als sie selbst noch klein gewesen sei. Und über mir an der Decke wirbelten sanft funkelnde Lichter wie Glühwürmchen im Sommer, die mit der Melodie an und aus flackerten.
    Diese Augenblicke waren Geschenke, für die keine Gegenleistung erwartet wurde. Sie waren so überraschend und wundervoll, wie unerwartete Geschenke zu sein pflegen – im Gegensatz zu dem kaputten Spiegel und, ein anderes Mal, den qualmenden Ruinen unseres Gartens. Aber selbst die Feenlichter und die Ballons waren nichts, um das Robin oder ich sie hätten bitten können. Die Warnung davor stand stets in Moms Augen wie das Monster im Wandschrank eines hell erleuchteten Zimmers.
    Mom hatte mir nicht mal erzählt, ob diese Gabe auch in mir erwachen
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