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Dein Name

Titel: Dein Name
Autoren: Navid Kermani
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Romanschreiber, na ja gut, wenn es sich ergibt, sonst eben nicht, wer ist er, daß er Bögen beherrscht, wenn wir doch alle höheren Gewalten ausgesetzt sind. Und nun stirbt auf den mutmaßlich letzten Seiten Großvaters gelehrtester Freund und mit ihm zugleich das Isfahan, das Großvater leider nicht beschrieb. Und obwohl der Romanschreiber von der ersten Seite an damit rechnen mußte und bei Anrufen in Isfahan oft bang fragte, wie es Herrn Mehriar gehe – noch schlechter, hörte Navid Kermani, zuletzt schien er nur noch aus Knochen zu bestehen –, war der Romanschreiber natürlich überhaupt nicht vorbereitet, hatte sich nicht einmal die Daten besorgt, nicht einmal ein Photo zur Hand.
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    Seine Allmacht auf den Oberschenkeln wie vor ihm so viele andere deutsche Dichter in New York ihren Notizblock, sitzt der Einwanderer am Nordufer des Kennedy Reservoir im Central Park und fragt sich, welche deutschen Romane auch diesen nördlichen Blick auf die Skyline schon eingefangen haben; der See mit der Fontäne und den Joggern davor, ringsherum das Grün noch verblüffender als in Isfahan und über den Bäumen das Menschenwerk so gewaltig, wie vormals von den Schiffen aus gesehen. 20:01 auf der Uhr, die noch nicht umgestellt ist, der 14. April 2011, die lebensmüde Batterie trotz Energiesparmodus, der von der Schrift kaum etwas erkennen läßt, nach ein paar Zeilen nur noch auf 79 Prozent beziehungsweise einer Dauer von 1:29, aber morgen geht er einen Computer kaufen, weil die in Amerika billiger sind. Als Kompensation für die losen Blätter, die er doch nicht allen Ernstes ins Buch einlegen könne, hat der neue Verleger bei seinem Besuch in Köln zehn zusätzliche Seiten bewilligt, umgerechnet 24.000 Anschläge, die erst mit dem dritten Fahnenlauf gesetzt werden. Am Ende überzeugt hat ihn die Aussicht auf die tagespolitische Wendung zum Schluß – der Enkel, der die Hymne seines Großvaters auf das Land der Franken gesungen, verzweifelt selbst über den Niedergang des europäischen Projektes, die Selbstdemontage der politischen Gemeinschaft, die Kumpanei der Staatsführer mit Tyrannen, die Unmenschlichkeit an den Grenzen und das wachsende Ressentiment. Als die Anfeindungen im Laufe des Jahres 2010 seinen Alltag immer häufiger beschweren, zieht er, weil zu Hause – Köln ist zu Hause, murmelte der Auswanderer, der auf einem Karton Bettwäsche kauerte – zu Hause in Isfahan Knüppel, Wasserwerfer und Schießgewehre herrschen, weiter nach Westen, wo schon für Mohammad Mossadegh das Sehnsuchtsland lag. In Amerika gelandet, treibt indes schon der Zollbeamte alle Illusionen von Egalität aus, der den Einwanderer aus der Reihe winkt, um ihn zu seiner Herkunft zu vernehmen. Die Reise, so empfahl der neue Verleger, solle der Auswanderer analog zum ersten Aufbruch seines Großvaters mit der Kutsche nach Teheran schildern und sich zum Beispiel – sei ja nur eine Idee – das Upgrade auf die Business Class leisten, die Ankunft, wie’s sich für einen deutschen Schriftsteller gehört, in New York, dann sich einrichten im neuen Leben, der Alltag, der neue Schreibtisch, nicht die Waschmaschine vergessen und zum wehmütigen Finale der Migrationsgeschichte die reunion mit den anderen vierzehn Enkeln des Schafi. Das ist genial!, rief der neue Verleger, während er an den Kartons des Auswanderers vorbeischritt wie an Gräbern: wie Dein Name das Verrinnen der Zeit nachahmt. Jeder Satz nähme einem anderen den Platz, jede Beschreibung verhindere eine andere mögliche Beschreibung, und wenn der Auswanderer auch nur Datum und Uhrzeit erwähne, seien wieder fünfzig Anschläge weniger übrig, bis nur noch zehn Seiten blieben, fünf, zwei, eine, eine halbe Seite, zehn Zeilen, neun, acht, sieben, sechs fünf vier dreizweieins. Als der Auswanderer sieben Tage später die Koffer aus dem Haus trug, war nichts an dem Aufbruch analog, keine weinenden Begleiter noch Fragen der Nachbarn, wohin die Reise geht, die Holzklasse ungleich bequemer als die Loge Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zwischen Isfahan und Teheran, an der Paßkontrolle nur das obligatorische Screening der Finger und Augen, das jeden gleich macht, und keine zwei Stunden später öffnete er schon das Hotelzimmer im angesagten Viertel, das er sich für die ersten Tage leistet, um wieder deutscher Schriftsteller zu sein, Wasserflasche im
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