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Dein Name

Titel: Dein Name
Autoren: Navid Kermani
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schlecht ist auf Erden. Mehr noch als seine Eitelkeit, seine Ungeduld, endlich wieder ein Buch vorzulegen, ein richtiges Buch mit Umschlag und allem, oder der professionelle Ehrgeiz, einen Erscheinungstermin einzuhalten, war es diese menschliche, vielleicht menschlichste Angst – oder fürchten sich denn Tiere nicht nur vor ihrem eigenen Tod? –, deretwegen er sich für die Ausarbeitung der öffentlichen Fassung Woche für Woche ein Pensum auferlegte, das ihm zu den Rückenschmerzen, der Migräne und der Schlaflosigkeit wie zum Hohn auch noch die Sehnenscheidenentzündung an der rechten Hand einbrachte, die in der alten katholischen Erziehung als Ausweis und Strafe der Selbstbefriedigung gilt. Nicht nach links, nicht nach rechts hat er geschaut, sich taub gestellt in allen Debatten und sogar die Revolution auf dem Tahrir-Platz verpaßt, die Großvater eines Besseren belehrte – wie glücklich wäre Großvater über seinen Irrtum gewesen. Jetzt die Atomkatastrophe in Fukoshima, da die Welt Abend für Abend in den Sondersendungen hört, daß eine solche Verkettung unglücklicher Zufälle unmöglich voraussehbar war – wie hätte der Romanschreiber das nicht in Bezug zu Jean Paul setzen wollen, der in der Wirklichkeit so viele Zufälle wirken sah, daß es in einem Roman für unwahrscheinlich gehalten würde und also ausgeschlossen sei, die Atombetreiber und -lobbyisten als Genieästheten, die besser einmal die Vorschule studiert hätten als immer nur ihre eigenen Tabellen? Und wenn einer in der deutschen Literatur, dann bezeugte Hölderlin, daß der Mensch höheren, für ihn willkürlichen Gewalten ausgesetzt ist, die er niemals beherrschen noch gegenwärtigen kann, jeder von uns so hilflos wie Abend für Abend der japanische Regierungssprecher. Der Romanschreiber wollte nichts mehr berichten, nichts mehr sehen, zum Lesen kam er auch kaum noch mehr; er wollte nur so schnell wie möglich fertig werden mit Deinem Namen , der Veröffentlichung jedenfalls, alles weitere wie die Deutschen nur noch mit sich selbst ausmachen. Inständig hoffte er, niemandem mehr einen Namen zu geben, so Gott will nicht den Eltern, die doch sehen sollen, was aus Großvaters Flaschenpost wurde, aber auch sonst keinem Menschen, hatte wie gesagt Angst, weil das Gedächtnis nichts einfacher macht, wie der Romanschreiber angenommen hatte, nicht befreit, keine Katharsis bewirkt, sondern eher umgekehrt den Staub aufwirbelt jedesmal, nur wenn eines der Photos auf dem Bildschirm auftaucht und bald erst, wenn Dein Name gedruckt wird, an die Buchhandlungen ausgeliefert und an die Rezensenten verschickt, wenn er vor fremden Menschen daraus vorliest: Dann wird der Roman bewertet, den ich schreibe. Der Romanschreiber hingegen sieht nur, jedesmal wenn er das Buch mit Umschlag und allem in Händen halten wird, sieht nur, wer nicht mehr da ist. Er wollte das Buch nicht aufschlagen und noch einen Namen mehr sehen, obwohl das unwahrscheinlich erschien, so lang wie sich eine Veröffentlichung naturgemäß hinzieht, und am unwahrscheinlichsten von der ersten Seite an, daß Mohammad Mehriar nicht genannt würde, der schon fast hundert Jahre gelebt. Und ausgerechnet vor drei Tagen, am persischen Neujahr 1390, als der Romanschreiber nachmittags die letzte Korrektur des Lektors eingearbeitet hatte, am ersten Abend überhaupt nach sechs Monaten oder genaugenommen beinah fünf Jahren, an dem nichts mehr zu tun war, außer sich vielleicht um die Photos zu kümmern oder die einen oder anderen Lebensdaten zu ermitteln, aber damit wollte er dann nicht gleich den ersten Abend verbringen, teilte der Orthopäde am Telefon mit, daß Herr Mehriar gestorben sei. Und der Orthopäde sagte auch, als Navid Kermani nichts sagte, daß der Romanschreiber das ja noch für den Roman verwenden könne, den ich schreibe. Wörtlich: verwenden. Und die Ältere, die Navid Kermani die Bestürzung ansah, als er auflegte, und fragte, was los sei, die Ältere, der Navid Kermani sagte, daß jemand in Iran gestorben sei, wer?, kennst du nicht, ein sehr alter Herr, die Ältere fragte, ob der jetzt ebenfalls vorkommen wird. Ja, antwortete der Romanschreiber, Herr Mehriar wird nun auch: vorkommen. Und wie teuflisch es sich in die Poetik fügt. Immer mahnte der Lektor, der Roman, den ich schreibe, solle am Schluß nach Isfahan zurückkehren, und immer dachte der
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