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Dein Name

Titel: Dein Name
Autoren: Navid Kermani
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gescheiterte Ehe vor Gericht offenbar und eigentlich ja richtig, nur so nüchtern heißt, eine Minute zu früh die Frau und ihren Anwalt, anschließend den Mann und seinen Anwalt auf. – Die beiden Eheleute weisen sich durch Vorlage ihres Personalausweises aus, murmelt der Richter und schaut in die Runde, worauf ihm die Anwälte die Personalausweise reichen. Er schaut sich die Ausweise kurz an und wendet sich dann an die Frau: Sie stellen also den Scheidungsantrag aus der Antragsschrift vom 8. November 2010, nicht wahr? – Ja, antwortet die Frau pünktlich um 11 Uhr. Während er mit dem Kugelschreiber die Zeilen eines offenbar vorformulierten Protokolls entlangfährt, liest der Richter vor: Die Antragstellerin stellt den Scheidungsantrag aus der Antragsschrift vom 8. November 2010, Blatt zwei der Anlage. Dann wendet er sich dem Mann zu: Sie stimmen der Scheidung zu, richtig? – Richtig, antwortet der Mann um 11:01 Uhr und blickt fragend zur Frau, die aber keine Regung zeigt. – Der Antragsgegner, liest der Richter wieder aus dem vorformulierten Protokoll vor, stimmt der Scheidung zu. Dann kündigt der Richter an, die Eheleute zur Frage des Trennungszeitpunkts und der Zerrüttung der Ehe anzuhören. – Sie leben seit November 2009 getrennt, richtig? wendet er sich zunächst an die Frau. – Ja, antwortet die Frau. – Und Sie möchten geschieden werden? – Ja, ich möchte geschieden werden. – Die Antragstellerin, liest der Richter wieder vor, die Antragstellerin erklärt: Wir leben seit November 2009 getrennt, und ich möchte geschieden werden. Dann wendet der Richter sich dem Mann zu: Treffen die Angaben Ihrer Frau zum Trennungszeitpunkt zu? – Ja, antwortet der Mann um 11:02 Uhr, obwohl die Frau erst am 1. September 2010 ausgezogen ist. – Und Sie möchten ebenfalls geschieden werden, nicht wahr? – Ja, lügt der Mann ein weiteres Mal. – Der Antragsgegner, liest der Richter wieder vor, der Antragsteller erklärt: Die Angaben meiner Frau zum Trennungszeitpunkt treffen zu, und ich möchte ebenfalls geschieden werden. Dann wendet der Richter sich an beide Eheleute: Und Sie verzichten beide auf den Versorgungsausgleich, richtig? – Ja, antworten die Eheleute um 11:03 Uhr in so seltsamem Einklang, daß der Mann auf den Lippen der Frau ein Lächeln angedeutet zu sehen meint. – Bezüglich des Versorgungsausgleichs, liest der Richter wieder vor, nehmen die Beteiligten Bezug auf den Notarvertrag, in dem der Ausschluß eines Versorgungsausgleichs vereinbart wurde. Noch einmal wendet sich der Richter an beide Eheleute und liest nun den Beschluß des Kölner Amtsgerichtes vor, wonach die mit Namen der Eheleute, Datum der Eheschließung, Ort des Standesamtes und Registriernummer vorgestellte Ehe geschieden werde, ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben würden, was immer das heißt. Als Grund gibt der Richter an, daß nach Überzeugung des Gerichts die Ehe gescheitert sei, nachdem beide Eheleute übereinstimmend und glaubhaft erklärt hätten, seit November 2009 getrennt zu leben, ihre Ehe für gescheitert zu halten und die eheliche Lebensgemeinschaft nicht fortsetzen zu wollen. Nach Erklärungen zum Versorgungsausgleich, zur Rechtsbehelfsbelehrung, dem Verfahrenswert und den Gerichtskosten, die so schnell vorgetragen sind, daß der Mann sich keine Stichpunkte mehr zu notieren vermag, erklärt der Richter die Sitzung um 11:06 Uhr für beendet. Einen Atemzug lang stellt sich der Mann vor, wie er das Fenster öffnet, auf einen Stuhl steigt und in den Himmel springt, immer besser ein schöner Tod, denn solch ein schläfrig Leben, wie das unsre nun ist, als ihm schon die Töchter einfallen, die achtzigjährigen Eltern und die Fertigstellung des Romans, den ich schreibe. Ohnehin haben die Fenster im elften Stock des Kölner Amtsgerichts keinen Griff. Der Mann scheint nicht der erste zu sein, den der Wechsel zwischen erster und dritter Person, diesem zu jenem Namen verwirrt und wie schnell alles vorbei ist. Nichtsahnend ging ich aus dem Haus.
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    Mohammad Mehriar (1918 Isfahan; 11. März 2011 ebendort) ( Bildnachweis )
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    Wie vor so vielen anderen Kapiteln wurde mir klar, wie wenig ich eigentlich von dem Verstorbenen weiß, der mir so vertraut schien, nur daß er mit Reza Rastegar zur ersten Generation
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