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Dein Name

Titel: Dein Name
Autoren: Navid Kermani
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Kühlschrank und Obstkorb auf dem Schreibtisch. Der Einwanderer hat Europa auch keineswegs wegen der Selbstverständlichkeit verlassen, daß man dort weggeht, wo man so gehaßt wird, sein Heldentum wenn überhaupt jenes der Schaben, die nicht aus dem Badezimmer auszurotten sind: Er muß nicht zu Deutschland gehören, um in Deutschland zu leben, wäre auch als Fremder zurechtgekommen, solange Europa seinen Mindeststandard hält, Sattwerden, Schlafstatt, Kleidung, keine Schläge, keine groben Worte, für den Notfall einen Arzt und sogar eine Psychologin, und überhaupt wäre zu fragen, ob sich das republikanische Ideal der Gleichheit nicht als gefährlicher erwiesen hat als die eingestandene Hierarchie früherer Imperien, der Habsburger oder Osmanen. Am Ende ist immer jemand anders und der Status der Duldung kommoder, als der Dorn im Auge der universellen Aufklärung zu sein. Nein, es waren nicht die Zeitungskästen, die triumphierten, weshalb er Europa verließ, sondern »kindische Gründe, die zu erwähnen sich verbietet«, wie Großvater über seinen Schulabbruch schrieb, gheir-e ghabel-e zekr , ertrug es nicht mehr, mit der ehemaligen Frau wie mit einer Fremden zu verkehren, nicht die Blicke der Kinder bei jeder Übergabe, ertrug nicht die Vorstellung, mit Deinem Namen auf Handlungsreise zu gehen und keinen weiteren Karneval in Köln. Als Aschermittwoch die Zusage aus weiß Gott nicht New York eintraf, zögerte er keine Minute, für dies Amt die Kunst aufzuopfern, besser man reißt sich los und hofft darauf, daß die Wunde heilt. Allein, womit füllt er den Platz, wenn nichts an New York von allgemeinem Interesse ist, wozu nutzt der Einwanderer die … Moment … die 18.737 Anschläge, wenn nichts weiter als die gewöhnlichste Sehnsucht nach den Kindern ihn bedrängt, die auch nicht größer sein kann als das Heimweh Großvaters an der Amerikanischen Schule oder der Eltern im Land der Franken. Wegwerfen will er die Seiten nun auch nicht, auf denen er noch Leser hat. Steht in der Urschrift ein Absatz, den er aus dem Meerboden der Vergessenheit heraufholen sollte, aus der Affäre mit der Direktrice vielleicht? Dringlicher ist die Feststellung, daß der Titel Dein Name nicht von ihm stammt und er bis in die letzte Runde für den Roman, den ich schreibe gekämpft hat. – Wollen Sie nun groß raus kommen, lieber Navid Kermani? stellte sich der neue Verleger vor dem Auswanderer auf, dessen Karton etwas nachgab, und fing damit an, wirklich wahr, daß man ein Restaurant doch auch nicht betrete, weil man sich fürs Kochen interessiert, sondern für Knödel. Meinetwegen das Wort Name , willigte der Auswanderer sofort ein, dem Menschenbeifall so was von egal ist, aber bitte nicht Dein Name , allenfalls Ihr Name , weil er die Leser doch gar nicht kenne, besser noch Sein Name , um ein Signal der Verfremdung wie in Hagiographien oder Passionsspielen zu geben. Da der neue Verleger die leere Wand betrachtete, als frage er sich wieder, ob es so etwas schon mal gab, fügte der Auswanderer hinzu, daß nâmeh im Persischen »Buch« bedeute, Sein Name also auch als »Buch des Seins« zu verstehen sei. – Ist das nicht genial? blickte er zum neuen Verleger auf, der jedoch wieder von der Faktizität sprach, die jeden Leser – sagen Sie doch gleich »Kunden«, rief der Auswanderer dazwischen – in seiner Kreatürlichkeit als ein Du anspreche. – Haben Sie nachts in Rom nicht die unverstellte Ansicht gegeben, wie wenig Ihr Schicksal schon für Ihren Nachbarn zählt? legte der neue Verleger die Hand auf die Schulter des Auswanderers, der noch tiefer in den Karton sackte: Dein Name erweist den Unterschied, ob ich jetzt oder in fünfzig Jahren sterbe. Manche glauben auch, Gott existiere nur, damit sie erschaffen wurden, spottete in Gedanken der Auswanderer und setzte sich auf einen Karton, der mit Büchern gefüllt war. Abgesehen davon, fuhr der neue Verleger fort und schritt wieder die Reihen ab, wäre es unsinnig, einen Titel zu verwenden, dessen Doppeldeutigkeit nur Orientalisten verstünden. 27 Prozent nur noch, 26 Minuten. Vernünftig wäre es, der Einwanderer sparte sich die 16.270 verbliebenen Anschläge auf für den Fall, daß vor dem dritten Fahnenlauf noch jemand stirbt. 21:11 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Mit 21 Minuten beziehungsweise zehn Prozent, die die Batterie
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