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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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erstarben.
    Ich wartete. Isaak stand hinter mir, hechelnd vor Angst. Mein Atem dampfte. Ich fing an zu zittern. Wartete weiter.
    Schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen. Ich ging zurück und verkroch mich in meinen Schlafsack. Isaak kroch unter die Koje.
    Ich lauschte eine Stunde lang. Es kam nicht wieder zurück.
    Isaak zuliebe beschloss ich, den Anschein von Normalität zu wahren. Ich stand auf, zog mich an, schürte im Hauptraum den Ofen ein, zündete die Lampen an und machte es in der Hütte so warm und hell wie möglich. Ich öffnete eine Büchse Pemmikan, leerte sie auf einen unserer Porzellanteller und sah zu, wie Isaak es verschlang. Er schob den Teller klappernd quer durch den Raum, als er ihn sauber leckte. Zu meiner Überraschung merkte ich, dass ich ebenfalls hungrig war, und so machte ich mir Rührei aus vier Eiderenteneiern und einem halben Pfund Käse. Doch als das Essen fertig war, brachte ich nichts hinunter, und so gab ich es Isaak.
    Er hatte inzwischen aufgehört zu zittern, doch er blieb mir dicht auf den Fersen. Und so passierte es. Ich hatte abgespült und räumte die Sachen zurück ins Regal, als ich mich umdrehte. Er konnte nicht schnell genug ausweichen, und ich stolperte über ihn. Ich schlug gegen den Tisch und schleuderte den Wecker in die Luft.
    Die Uhr ging kaputt. Und irgendetwas in mir ebenfalls.
    «Dummer, blöder, verfluchter Hund!», schrie ich. «Du dummer, dummer Hund!» Ich schrie und schrie, trat aus und schlug mit den Fäusten um mich. Er versuchte nicht, auszuweichen; er kauerte sich zusammen, den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, und verstand nicht, was er getan hatte, wusste nur, dass er im Unrecht war, weil er ein Hund ist und Strafe verdient.
    Mit einem Mal wurde mir bewusst, was ich tat. Ich fiel auf die Knie, schlang die Arme um ihn und fing an zu weinen. Riesengroße, stoßweise Schluchzer. Ich weinte bis zur Erschöpfung. Isaak hat sich irgendwann befreit und in sichere Entfernung begeben. Ich glaube, mein Weinen hat ihn mehr geängstigt als alles andere.
    Erschöpft stand ich auf, ging zur Küche und wusch mir das Gesicht. Ich erkannte mich im Rasierspiegel selbst nicht wieder. Wer ist dieser verhärmte, struppige Mann mit dem wilden Blick und den tiefen Furchen auf den Wangen? Da wurde mir klar, dass ich es nicht länger ertragen konnte.
    «Also schön», sagte ich laut. «Du hast gewonnen. Gruhuken gehört dir. Ich habe genug. Ich gebe mich geschlagen. Ich verschwinde.»
    Zu dieser frühen Stunde würde Ohlsen auf der Bäreninsel noch schlafen, aber in der Funkstation von Longyearbyen war womöglich schon jemand wach. Sobald sie meinen Hilferuf bekämen, würden sie Gus und Algie wecken, und die würden Eriksson wecken, und dann würde die Isbjørn in See stechen …
    Den Raureif hatte ich völlig vergessen. Er beschränkte sich nicht auf die Schlafkammer. Weshalb auch? Und ich hatte ganze Arbeit geleistet, die Hütte aufzuheizen. Auf dem Empfänger perlten Wassertropfen. Genau wie auf dem Sender und dem Motor und all meinen Ersatzröhren. Nass. Ruiniert. Nutzlos.
    Das ist jetzt eine Weile her – obgleich ich natürlich nicht weiß, wie lange genau, weil ich keine Uhr mehr habe. Ich habe aufgewischt, so gut ich konnte, und die Handtücher zum Trocknen über den Ofen gehängt. Ich weiß nicht, weshalb ich das getan habe. Aber ich bin schließlich der Funker hier, und ich möchte meine Ausrüstung nicht in Unordnung zurücklassen.
    Wenn die Bäreninsel zwei Tage lang keine Übermittlungen erhält, werden sie nach Longyearbyen um Hilfe funken. Selbst wenn ein Schiff noch durchkommt, wird es weitere zwei Tage brauchen. Das sind zusammengenommen wenigstens vier Tage. Vier Tage.
    Ich versuche daran zu glauben, dass ich bis dahin durchhalten kann. Nun komm schon, Jack, du hast es bis hierher geschafft, es dauert doch nicht mehr lange. Doch jetzt liegen die Dinge anders. Es gibt keinen Mond.
    Vier Tage. Danach ist alles vorbei.
    Die größten Gewissensbisse habe ich wegen Isaak. Das macht mich wirklich wütend. Es ist nicht seine Schuld. Er hat nicht darum gebeten, hierhergebracht zu werden. Es ist nicht seine Schuld!
    Meine Handschrift ist nur noch wirres Gekritzel, aber ich weiß, dass ich nicht verrückt geworden bin. Das ist keine Einbildung. Es ist kein Nervenzusammenbruch, ausgelöst von Einsamkeit und Finsternis. Etwas hat dafür gesorgt, dass Gus und Algie erlebt haben, was sie erlebten. Etwas hat Bjørvik Albträume beschert, die Türe zur Hundehütte
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